Wo einst eine städtische Brache war, entsteht im Norden von Zürich ein neues Quartier. Günstiger Wohnraum ist zentral, Photovoltaik selbstverständlich.
Ein heisser Tag im August scheint am besten geeignet, diese Überbauung zu besuchen. Die Wohnungen sind noch nicht bezogen, vor den Gewerberäumen im Erdgeschoss sind die Umgebungsarbeiten im Gang. Doch die Solaranlagen ragen bereits selbstbewusst in die Spätsommersonne. Die Idee der Siedlung Guggach III in Zürich wird offensichtlich. Wohnraum für alle, Identität für ein Quartier, Photovoltaik als normalste Sache der Welt.
Quartier füllt die Guggach-Brache
Das Guggach-Areal liegt an einem Ort, der lange keiner war. Zwischen den Stadtteilen Unterstrass und Oerlikon gelegen, war hier zuletzt eine städtische Brache. Erst recht, nachdem 2022 das Radiostudio Brunnenhof quer gegenüber geschlossen wurde. Dort soll eine Sekundarschule einziehen; die Stadt Zürich ist bereits an der Planung. Noch früher aber, 2018 hat die Planung für das Guggach-Areal begonnen. Die Brache war eine Landreserve der Stadt Zürich, mit entsprechend grossem Potenzial für die Stadtentwicklung. So beschloss die Stadt, das Areal zu entwickeln. Eine Primarschule, Park und Wohn- und Gewerbesiedlung mit Kindergarten wurden als städtebauliches Projekt lanciert. Auftraggeberin war die städtische Stiftung für bezahlbare und ökologische Wohnungen – Einfach Wohnen.
Bezahlbar, ökologisch – und natürlich solar
Bezahlbar und ökologisch – wer die Solarpanels an den Fassaden der beiden Neubauten sieht, erkennt die Grundsätze auch dort. Es sind Standardmodelle, schwarz, mit durchsichtigem Trägermaterial. Eine bewusste Entscheidung, wie Tanja Reimer, Partnerin von Donet Schäfer Reimer Architekten, erklärt: «Wir ahnten: Photovoltaik in der Fassade bei einem kostengünstigen Wohnungsbau erreichen wir nur mit Standardlösungen.» Während sie spricht, steigen wir die aussenliegenden Treppenhäuser hinauf zu den Galerien, die Zugang zu den Wohnungen bieten. Auch dies ist eine günstige Form der Erschliessung, die den Mieterinnen und Mietern zudem einen kleinen gemeinsamen Aussenraum vor der Wohnungstür bietet. Diese kollektiv genutzte Loggia wird von den schräg gestellten Solarpanels im Sommer leicht beschattet.
Fassade
235
kWp Leistung
Dach
150
kWp Leistung
Herausforderungen in der Planung
Die Architektin freut, dass es schlussendlich geklappt hat. Denn mitten während der Ausschreibung musste aufgrund von Verfügbarkeiten das Panelmodell gewechselt und umgeplant werden. Der Grund: Die Phase, in der die Lieferantenaufträge vergeben wurden, fiel genau auf den Beginn des Krieges in der Ukraine. Die dadurch gestörten Lieferketten betrafen auch Solarpanels. Lieferfristen wurden ungewiss. Um den Zeitplan nicht zu gefährden und zugleich die Anforderungen an ein reflexionsarmes Glas einzuhalten, musste der Modultyp gewechselt werden, der wiederum leicht andere Masse hatte. «Mit international einheitlichen Standards für Panelformate wäre diese Umplanung nicht nötig gewesen», fasst Reimer zusammen.
Eine andere Form von Solararchitektur
Auf dem Galeriegeschoss erkennt man die Rückseiten der Panels mit ihrer halbtransparenten Glas-Glas-Bauweise deutlich. Die Metallkonstruktion, an der sie hängen, wird oben zum Geländer. Tim Schäfer, Kollege und ebenfalls Partner von Donet Schäfer Reimer Architekten, erklärt, wie es zu dieser Lösung kam. «Als wir 2018 das Projekt entworfen haben, waren gerade Bauten in aller Munde, die bedruckte oder gefärbte Solarpanels an den Fassaden einsetzten.» Allerdings, so Schäfer, sei die Photovoltaik dort quasi unscheinbar gemacht worden. «Wir wollten herausfinden, ob gute Gestaltung auch mit Standardmodulen möglich ist und Solararchitektur auch direkter in Erscheinung treten kann.» Die Panels mit schwarzen Modulen spielen mit den anderen Elementen der Fassade zusammen – grüne Fenster, blaue Farbflächen, Natursteinstützen und Metallteile vor weissem Putz. Eine eigenwillige Gestaltung, die Reaktionen auslöst.
Nachhaltigkeit sichtbar machen
Auch auf dem Dach der beiden Gebäuderiegel recken sich Solaranlagen selbstbewusst in die Augustsonne. Es sind fast dieselben Panels wie an der Fassade, nur sind sie in mehreren Reihen übereinander angeordnet, grossen Schildern gleich. Die Energieproduktion wird über die Gestaltung der Fassaden und Dächer kommuniziert. Dies kam auch der Stiftung Einfach Wohnen entgegen, erklärt Tim Schäfer. «Nachhaltigkeit und günstiges Wohnen werden oft als Zielkonflikt benannt.» Tanja Reimer und er wollten diesen scheinbaren Widerspruch bewusst auflösen. Die Konstruktion wurde pragmatisch gewählt, technische Ausrüstung weggelassen und einfache, aber robuste Materialien gewählt. Die Gebäudevolumen sind kompakt und ermöglichen Wohnen mit geringem Flächenverbrauch. Ein grosser Hebel zur Einsparung von Treibhausgasemissionen liegt auch in der Mobilität: Die durch den öffentlichen Verkehr gut erschlossene Siedlung wurde fast autofrei realisiert. Lediglich für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und Besucherinnen und Besucher gibt es wenige Parkplätze im Freiraum.
Unsere Lösungen
Kleines Dach macht sich gross
Aus den Obergeschossen blickt man auf das Dach des Kindergartens, der ebenfalls zum Areal gehört. Er wird mit nur einem Stockwerk von den beiden Wohn- und Gewerbehäusern deutlich überragt. Entsprechend ist auch das Dach gestaltet, das von oben einsehbar ist. Nur auf zwei Giebeln in den Ecken sind Solarpanels montiert. «Mit den zwei Giebeln macht sich das Gebäude etwas grösser, als es ist, und behauptet sich in seinem Kontext», meint Tanja Reimer. Auf dem kleinen Dach sei, verglichen mit den grossen Gebäuderiegeln, weniger Stromproduktion möglich. Ein wenig Abendsonne sollte dennoch eingefangen werden.
Das Projekt «Guggach III»
Modultechnik: transluzide monokristalline Siliziummodule
Auftraggeberin: Donet Schäfer Reimer Architekten GmbH, Zürich
Bauherrin: Stiftung Einfach Wohnen, Zürich
Ausführung: Planeco, Münchenstein
Lösungen statt Blockade
Wieder vor dem Gebäude scheint die Mittagssonne jetzt senkrecht auf den Platz. Die Solarpanels auf dem vorderen der beiden Gebäude werfen ein Schattenspiel auf die Wand. «Es ist interessant, wie der Schatten, die eigentlich banale Lochfassade zusätzlich strukturiert», ruft Tanja Reimer gegen den Lärm der Baumaschinen. Diese tragen den Belag auf. Es gibt Sickerasphalt, dazu mehr Begrünung als ursprünglich geplant. Die Anforderungen der Stadt Zürich zur Vermeidung von Hitzeinseln seien (zum Glück) inzwischen strenger als 2018. Wie die Klimaerwärmung die Stadt verändert, gehört zu den Ungewissheiten beim Bauen heute. Ebenso ungewiss ist, ob sich die Standard-Solarpanels in Zukunft bei Schäden ersetzen lassen – oder ob man es aus Kostengründen sein lässt. «Wir haben noch nicht auf alles Antworten», meint Tanja Reimer. «Aber es ist wichtig, dass wir trotzdem Erfahrungen sammeln. Wer sich von Ungewissheit blockieren lässt, findet keine Lösungen.»
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