Die Langen Erlen kennen viele als grüne Lunge von Basel. Doch die Trinkwasserproduktion gibt dem Wald seinen wichtigsten Zweck.
Bestimmt waren hier bereits Rehe und Hasen unterwegs. Doch jetzt, an diesem nebligen Herbstmorgen, fahren uns nur E-Bikes auf dem Weg in die Stadt etwas zu schnell entgegen. Wir sind in den Langen Erlen, wo viele Menschen aus der Region Basel gerne durchatmen und die Freizeit verbringen. Die Langen Erlen sind aber nicht nur Rückzugsort für Mensch und Tier – in erster Linie sind sie das grüne Herz unserer Trinkwasserproduktion: Nur wenige Meter unter unseren Füssen fliesst das Grundwasser, welches als Trinkwasser in jeden einzelnen Haushalt der Stadt gelangt. Doch vorher wird es durch die Grundwasserbrunnen gefördert und in der Pumpstation aufbereitet. Und das wäre nicht möglich ohne diesen Wald.
Laufen auf Erdschichten
Mit uns läuft Andrea Engler, Projektingenieurin in der Wasserproduktion bei IWB. Sie kennt den Untergrund hier gut. Denn IWB hat den geologischen Untergrund in den Langen Erlen mit Sondierbohrungen und Pumpversuchen untersucht. «Detaillierte Kenntnisse des geologischen Untergrundes sind für uns unerlässlich», meint Engler. «Die stauende Schicht ist je nach Standort 13 bis 16 Meter unter uns und bestimmt die Mächtigkeit des Grundwasserleiters.» Wir laufen also über eine Schicht aus nassem Erdreich, Schotter und schliesslich Fels. «Besonders entscheidend ist aber die Durchlässigkeit des Schotters, welche lokal sehr variieren kann.»
Neue Trinkwasserbrunnen für die Stadt
Die Planung neuer Grundwasserbrunnen hat einen Grund: «Um auch in Zukunft den Trinkwasserbedarf der Basler Bevölkerung decken zu können, soll die Förderkapazität der Trinkwasserproduktion in den nächsten Jahren ausgebaut werden», sagt Simon Haag, Leiter Engineering im Bereich Trinkwasser bei IWB. Doch einfach losgebaut wird nicht. «Wir sind froh, wenn es in den Langen Erlen möglichst wenig Baustellen gibt», erklärt er. Denn hier im Trinkwasserschutzgebiet ist jede Baustelle ein Risiko und eine Beeinträchtigung. Haag und sein Team beurteilen deshalb jeden Eingriff und jedes Bauprojekt, auch wenn es nur die Tafel eines Themenwegs, die Sanierung eines bestehenden Weges oder Unterhaltsmassnahmen an Gewässern betrifft. Das sei eine zentrale Aufgabe jedes Trinkwasserversorgers.
Ein grosser Naturfilter
Die Langen Erlen sind nicht einfach nur ein Wald in Stadtnähe, sondern ein natürlicher Filter. Wasser aus dem Rhein wird nach einer Vorfilterung auf Wässerstellen im Wald geleitet.
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Ohne Trinkwasserproduktion wäre in den Langen Erlen heute kein Wald.
Dort versickert es wieder. Mit seinen Mikroorganismen und vielen Poren reinigt der Waldboden das Wasser, bevor es sich mit dem Grundwasser vermischt. Wie Regen, nur ohne Wolken, natürlich und doch menschengemacht. Das angereicherte Grundwasser wird wieder hochgepumpt und danach aufbereitet. «Eigentlich hätte das Wasser, das wir hinaufpumpen, schon Trinkwasserqualität», meint Simon Haag. «Doch wir wollen auf der sicheren Seite sein.» Deshalb folgen weitere Filterstufen für das Wasser aus den Langen Erlen. Dann ist es Trinkwasser.
Trinkwasserproduktion und Naturschutz. Und auch Freizeit.
13 solche Wässerstellen gibt es in den Langen Erlen. Jede hat drei Felder, die abwechselnd während zehn Tagen genutzt und danach zwanzig Tage trockengelegt werden, damit sich der Boden erholen kann. Janik aus den Erlen führt uns zu einer. Der ähnliche Name ist Zufall und doch passend, denn er ist als Leiter Aussenanlagen der Wasserproduktion von IWB dafür zuständig, dass im Wald alles in Ordnung ist. «Die Stelle dort hinten nutzen wir gerade nicht. Dort wohnt ein Dachs», erklärt Janik aus den Erlen.
Manche Stoffe holt der Waldboden nicht aus dem Wasser. Deshalb ist die weitere Aufbereitung wichtig.
Das Beispiel verdeutlicht, welche Nutzungen es hier gibt. Da sind die Trinkwasserproduktion und der Schutz der Natur, die sich gegenseitig bedingen. Auch die Freizeitnutzung gibt es noch. Aber eben: auch.
Wald oder Industrie?
Genau genommen befänden wir uns hier nicht nur in einem Wald, sondern auch in einer Industrieanlage, erklärt Janik aus den Erlen. Im Gegensatz zum üblichen Wald seien die Bäume hier sehr jung, um Sturm keine Angriffsfläche zu bieten. «Wenn ein alter Baum umgeworfen würde, entstünde ein grosses Loch im Boden.» Der Wasserfilter wäre kaputt. Und natürlich wäre ein umstürzender Baum auch eine Gefahr für die menschlichen Gäste. Bäume werden deshalb immer wieder gefällt. Sie landen dann entweder im Holzkraftwerk von IWB oder bleiben als Totholz zurück, werden zu Lebensraum für Kleinlebewesen.
Hier war nicht immer Wald
Die Langen Erlen waren ursprünglich nicht bewaldet, sondern Auenland. Erst Ende des 19. Jahrhunderts, als das Quellwasser aus dem Baselbiet für die Trinkwasserversorgung der Stadt nicht mehr ausreichte, begann man, Flusswasser natürlich aufzubereiten – seit den 1960er-Jahren auch Rheinwasser. Ein Verfahren, das auch heute noch einzigartig ist. Man merkte schnell, dass Waldboden dafür besser geeignet ist als Auenboden, und pflanzte Pappeln, Ahorne, Haselnuss, Eschen – und die namensgebenden Erlen, die vorher nur in Ufernähe standen. «Ohne die Trinkwasserproduktion wäre hier wohl heute kein Wald», meint Simon Haag. «Die stadtnahe Lage wäre sicher überbaut worden.» Seine wichtige Funktion garantiert dem grünen Rückzugsort in der Stadt das Fortbestehen.
Die grüne Fabrik
Wir erreichen ein breites Industriegebäude. Darin reinigt Quarzsand in 20 Becken das Rohwasser vor. «Damit keine Partikel aus dem Rhein in den Wald geleitet werden», erklärt Andrea Engler. Der Naturfilter der Langen Erlen sei wichtig, aber die vor- und nachgelagerten Filter auch. «Es gibt Stoffe, die der Waldboden nicht aus dem Wasser holt.» Hinter uns surrt es, die Turbinen in der Schnellfilteranlage laufen kurz an. Dann verstummen sie wieder, man hört die Schritte einer Joggerin und einzelne Vögel, die gegen den Nebel ansingen. Die Töne der grünen Fabrik.
Forstwart und Kommunikationsexperte
Nachdem sich Andrea Engler und Simon Haag verabschieden, begleitet uns Janik aus den Erlen durch den Wald. Alle acht Jahre suche er Bäume aus, die gefällt werden müssen. In den letzten zwei Jahren hat ihm allerdings das Klima den Takt vorgegeben: «Wir mussten viele Bäume entnehmen, die durch die Trockenheit ausgezehrt waren.» Das verstünden die Besucherinnen und Besucher nicht immer. «Meine Arbeit ist längst nicht nur auf die Forstwirtschaft beschränkt. Einen grossen Teil macht die Kommunikation aus – erklären, was wir hier tun.» Die Erholungsfunktion mag in den Langen Erlen nicht an erster Stelle stehen. Doch sie werden rege besucht, und das bringt Aufmerksamkeit mit sich.
Ein leerer Stall
Am südlichen Rand der Langen Erlen liegt der Spittelmatthof. Markus Graber, der den Hof noch bis Ende des Jahres führt, steht vor einem leeren Stall. Die Mutterkühe hat er vor ein paar Jahren abgegeben, als Vorbereitung auf die Übergabe des Pachtvertrags. Und weil das Ausbringen von Gülle auf die umliegenden Grasflächen mit der neuen Schutzverordnung nicht mehr vereinbar war. «Heute betreibe ich Ackerbau und Grünlandpflege», sagt Graber ganz ohne Bitterkeit. Er hat sich auf den Abschied vom Hof, wie er ihn geführt hat, lange vorbereitet. Schon Grabers Urgrossvater hat hier vor 100 Jahren gebauert. Danach kam der Grossvater und dann der Vater. «1990 haben mein Bruder und ich den Hof übernommen und auf Bioproduktion und Mutterkuhhaltung umgestellt.
Damals gehörten wir zu den Ersten in der Schweiz, die so produzierten.» Die Kühe habe er grösstenteils mit dem Raufutter von den eigenen Wiesen ernährt, das Fleisch im Direktvertrieb verkauft. «Das ist immer aufgegangen. Aber irgendwann ist Schluss.» Sein Bruder sei altersbedingt schon früher ausgestiegen, auch Markus Graber spürt, wie die Kräfte nachlassen. Auf Ende Jahr hört er auf.
Die Stadt verändert sich – und die Umgebung
Der Spittelmatthof war schon immer ein Hof mit Kühen. Der Name verrät die Nähe zum Spital, für das er lange die Milch geliefert hat. Seit über 300 Jahren gibt es hier Stallungen. Das umliegende Land wurde zum Trinkwasserschutzgebiet, die Stadt stetig grösser. «Das beschäftigt mich immer wieder, wenn ich auf dem Feld stehe und die Häuser rundherum sehe», meint Markus Graber. Er habe die Nähe zur Stadt aber meist genossen, vor allem in jungen Jahren. «Natürlich steht man hier unter grösserer Beobachtung als draussen auf dem Land. Damit muss man leben. Dafür gibt es auch mehr Laufkundschaft.»
Ökologie im Boden
Wir gehen raus aufs Feld. Die Schuhe gehen schwer durchs feuchte Gras, nach fünf Minuten sind sie komplett durchnässt. Markus Graber zeigt einen Grünstreifen. «Hier machen wir Gründüngung. Die Pflanzen bringen Stickstoff in den Boden, ausserdem bedecken sie ihn.» Das sei wiederum gut für das Grundwasser, meint Janik aus den Erlen, der nebenherläuft. Was auf diesem Boden einst angebaut wird, ist heute noch nicht klar. Markus Graber bereitet ihn für den neuen Pächter vor. Während wir still dastehen, ertönt vom Wald her Kindergesang. Eine Kindergartengruppe kommt aus den Bäumen, die Leuchtwesten heben sich grell vom Waldrand ab. Was sie über diesen Wald noch alles lernen werden? Und ob sie schon durstig sind?
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