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Im Gespräch

Der Solar-Professor: «Die Bubble hat sich geöffnet»

Portraitbild von Christof Bucher auf weissem Hintergrund
Christof Bucher forscht an der Berner Fachhochschule zu Photovoltaik. (Foto: zur Verfügung gestellt, BFH)

Woher kommen die besten Solarmodule? Warum halten sich Photovoltaik-Mythen so hartnäckig? Das Gespräch mit Christof Bucher.

Herr Bucher, einen Photovoltaikexperten für ein Interview zu finden, ist momentan nicht einfach. Hat die Branche so viel zu tun?

Ja. Swissolar gibt für 2023 ein Marktwachstum von 40 Prozent an, nachdem es in den Vorjahren schon hohe Wachstumszahlen gab. Dadurch hat jede und jeder in der Branche alle Hände voll zu tun.

Betrifft das auch Sie in Ihrer Arbeit als Forscher?

Definitiv. Photovoltaik wird heute ganz anders wahrgenommen als noch vor 15 Jahren. Ich habe selber 12 Jahre in der Photovoltaikplanung gearbeitet. Damals habe ich vor allem mit einem Fachpublikum und sehr interessierten Kreisen gesprochen. Heute ist Photovoltaik in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das Verständnis, dass Photovoltaik eine tragende Säule der Energieversorgung wird, hat sich breit durchgesetzt. Dadurch haben wir heute interessanterweise wieder ähnliche Fragen zu klären wie vor 15 Jahren. Daneben kommen viele praktische Fragen von Installationsfirmen. Leistungsoptimierer, bestimmte Modultypen, alte Stecker – aufgrund der Marktnachfrage ist auch die Nachfrage zu diesen Themen gestiegen.

Sie sagen, man rede jetzt wieder über die gleichen Themen wie vor 15 Jahren. Welche sind das?

Es fängt bei ganz banalen Dingen an wie: Kommt überhaupt mehr Energie aus einem Panel raus, als man bei der Produktion investiert? Die Frage war damals schon einfach zu beantworten und lautet heute erst recht: Ja. Heute ist es etwa 30-mal mehr, vor 15 Jahren waren es etwa 20-mal mehr. Andere wollen wissen, wie Balkonanlagen funktionieren oder ein Zusammenschluss zum Eigenverbrauch. Die Entsorgung ist ein Thema – was passiert mit alten Panels? Gründächer und Photovoltaik – viele Fragen sind praxisorientiert.

Aber offensichtlich halten sich auch Mythen, siehe die Frage zur Energiebilanz. Haben wir die nicht längst abgehakt?

Das hatte ich für mich. Aber dadurch, dass jetzt eine breitere Schicht über Photovoltaik spricht, müssen wir das noch einmal beantworten. Ich werte das positiv: Die Photovoltaik-Bubble hat sich geöffnet. Alle reden darüber, sogar auf der Steuererklärung taucht plötzlich die Frage auf, ob man eine Anlage hat. Man liest davon, es gibt überall Angebote für Balkonanlagen. Da stellen sich halt auch immer die Sinnfragen. Und auch, wenn man Photovoltaik ernster nimmt, tauchen neue Fragen auf. Fragen zum Winterstrom, zur Speicherung oder dazu, wie man mit schlechtem Wetter umgeht. Diese Fragen sind nicht neu, aber man hat sie früher eher zur Seite geschoben, da die Photovoltaik nicht so relevant war. Heute ist sie das, und deshalb braucht man handfeste Antworten.

Christof Bucher

Professor für Photovoltaiksysteme, Berner Fachhochschule

An sonnigen Tagen werden in Zukunft die Wasserkraftwerke keinen Strom liefern.

Sie testen in Ihrem Labor unter anderem Solarpanels auf deren Qualität. Kann ich denn heute überhaupt noch ein «schlechtes» Panel erwischen?

Die Frage nach der Qualität von Panels ist anspruchsvoll, nicht nur für die Kundinnen und Kunden, sondern auch für die Installationsfirmen. Diese müssen sich ein Stück weit auf die Importeure verlassen, die ihre Module meistens in China kaufen. Ja, es gibt heute noch schlechte Panels, aber wir treffen sie in der Schweiz nur noch selten an. Die allermeisten, die wir testen, sind auch gut.

Es gibt ja auch Panels aus Europa. Ist das eine Qualitätsgarantie?

Herkunft und Qualität haben nichts miteinander zu tun. In China gibt es einfach die meisten Hersteller. Die schlechtesten Module kommen aus China, die besten aber auch, jedenfalls, wenn man die Wirkungsgrade betrachtet. Hingegen sind in Europa die Wege kürzer. Wer ein Problem hat, findet schneller eine Ansprechperson, bei Modulen aus der Schweiz zum Teil sogar persönlich.

Das zweite wichtige Bauteil ist der Wechselrichter. Sie haben einmal gesagt, dieser habe das Potenzial, ein AKW zu ersetzen. Wie meinen Sie das?

Der Wechselrichter hat zwei Aufgaben. Einerseits stellt er sicher, dass das Solarmodul möglichst effizient arbeitet, andererseits muss er den Strom vom Panel für das Netz umwandeln. Er muss also einerseits Wechselstrom erzeugen, andererseits muss er die Spannung überwachen und auch mit Störungen im Netz umgehen können. Der Wechselrichter trägt heute die Verantwortung mit, dass das Stromnetz stabil läuft. In der Schweiz gibt es an die 200 000 Anlagen mit noch deutlich mehr Wechselrichtern. Gemeinsam haben diese fast die doppelte Leistung unserer Atomkraftwerke.

Jetzt könnte man sagen: In einem Kernkraftwerk arbeiten rund um die Uhr ausgebildete Profis. Solaranlagen sind sich selbst überlassen. Wie soll das funktionieren?

Man kann sich das so vorstellen: Nehmen Sie ein Ferienhaus ohne Stromanschluss. Es hat eine Batterie und ein Solarmodul. Der Wechselrichter stellt die Stromversorgung sicher, das funktioniert autonom. Wenn man nun zwei solche Ferienhäuser verbindet, ist das bereits ein «Microgrid», ein kleines Netz, das ebenfalls autonom funktioniert. Spinnt man diesen Gedanken weiter, ist man irgendwann bei ganz Europa, das autonom funktioniert. Natürlich nicht nur mit Photovoltaikanlagen und Wechselrichtern, es braucht dann andere Speicher. In der Schweiz sind das die Wasserkraftwerke. Die können das Stromnetz stabilisieren, aber nicht ein Jahr lang allein versorgen. Dafür haben wir zu wenig Wasser. Deshalb ist das Zusammenspiel wichtig. Wir brauchen Photovoltaik, die Energie zur Verfügung stellt, und wir brauchen flexible Anlagen, die bei schlechtem Wetter reagieren und das Netz saisonal stützen. Aber an sonnigen Tagen werden in Zukunft die Speicherwasserkraftwerke keinen Strom liefern. Sie pumpen dann Wasser in die Speicherseen. In so einem Moment müssen die Wechselrichter künftig die Systemstabilität garantieren.

Wie weit sind wir von diesem Szenario entfernt?

Es ist ein fliessender Übergang. An manchen Orten ist das heute bereits so. Wir haben heute in der Schweiz so viel Leistung von Photovoltaikanlagen am Netz, wie wir zu Zeiten mit wenig Last insgesamt benötigen. Es dauert vielleicht noch fünf Jahre, dann werden die Photovoltaikanlagen in der Schweiz zeitweise mehr Strom produzieren, als wir überhaupt brauchen.

Davor haben manche Angst: Die Solaranlagen überlasten das Netz. Wie verhindern wir das?

Dazu müssen wir noch einige Aufgaben erledigen, aber grundsätzlich lässt sich das verhindern. Was sich ändern muss: Leute, die Solaranlagen betreiben, können nicht den Anspruch haben, ihren Strom jederzeit ins Netz einzuspeisen und dafür vergütet zu werden. Denn, wie gesagt, in Zukunft werden Solaranlagen mehr Stabilisierungsfunktionen übernehmen. Das führt dann dazu, dass ein Gebäude, wo es neben einer Solaranlage auch ein Elektroauto oder eine Wärmepumpe gibt, wie ein kleines Kraftwerk funktioniert. Wenn es im Netz zu viel Strom hat, dann lädt man bevorzugt das Elektroauto oder betreibt die Wärmepumpe, oder wenn man in den Ferien und nicht zu Hause ist, reduziert die Solaranlage ihre Leistung. Diese Automatisierung macht man heute schon, allerdings aus finanziellen Gründen, um den Eigenverbrauch zu optimieren. In Zukunft wird diese Logik verbunden werden müssen mit der Anforderung an die Netzstabilisierung. Es wird die Aufgabe der Energieversorgungsunternehmen sein, zu bestimmen, wo die Grenzen sind, und entsprechende Angebote auf den Markt zu bringen.

Für die Leute, die heute schon eine Solaranlage haben, bedeutet das ein Umdenken.

Ja, definitiv. Aber ich möchte auch die Angst nehmen. Wir werden nicht alle die Tagesschau am Mittag schauen müssen. Das Umdenken könnte anderswo stattfinden. Es gibt in der Schweiz immer noch etwa eine Million Elektroboiler. Die sind für die Netzintegration der Atomkraftwerke gebaut worden. Man könnte sie aber auch für die Netzintegration der Solaranlagen gebrauchen. Den Unterschied merken wir am Ende nicht, wir können am Morgen warm duschen oder am Abend. Ob der Boiler jetzt über Nacht mit Atomstrom aufgeladen wurde oder am Tag mit Solarstrom – das hat keinen Einfluss auf unseren Komfort. Wir werden Systeme benötigen, die möglichst den Strom verbrauchen, wenn er zur Verfügung steht. Das bedeutet auch, dass wir Strom sparen, wenn er knapp ist. Wer beispielsweise in eine Wärmepumpenheizung investiert, sollte eine mit Erdsonde nehmen, da diese im Winter besonders wenig Strom braucht. Dafür ist dann im Sommer die Klimaanlage kein Problem mehr, da wir sowieso zu viel Strom haben.

Und was ist mit Batteriespeichern?

Ich bin persönlich nicht sicher, ob wir Batteriespeicher in Gebäuden brauchen. Wir haben schon viele Speicher, dazu gehören eben die ganzen Wärmeerzeuger. Und die Elektroautos, die jedes Jahr mehr werden. Mit einem Elektroauto bekommt man zehnmal mehr Speicherkapazität, als man typischerweise in einem Einfamilienhaus verbaut. Kommt dazu, dass wir in der Schweiz so viele Speicherkraftwerke haben wie in fast keinem anderen Land in Europa oder sogar auf der Welt. Deshalb können wir die Tag-Nacht-Speicherung bereits mit der Wasserkraft erledigen und das oft günstiger als mit Batterien. Andererseits haben Heimspeicher auch Vorteile. Erstens sind sie effizienter, da man den Strom nicht erst in die Berge und wieder zurück transportieren muss, andererseits sind sie jederzeit verfügbar, im Gegensatz zum Elektroauto. Doch Batterien sollen auch aus ökologischen Gründen nicht mehr als für ein, zwei Tage Strom speichern.

 

Fassaden-PV bei Familie Weidmann in Füllinsdorf
Einfamilienhäuser mit Solarfassaden gibt es noch nicht so viele in der Schweiz. Dabei gäbe es unzählige Häuser wie dasjenige der Weidmanns. Siehe Beitrag «Photovoltaik im Dezember: vom Himmel hoch.» (Foto: Timo Orubolo)

 

Damit kommen wir zum Winterstrom: Solarstrom fällt heute vor allem im Sommer an. Wie schliessen wir die Winterstromlücke?

Es gibt dafür nicht eine Lösung, auch wenn sich manche das wünschen. Eher sind es zehn Lösungen, und wahrscheinlich brauchen wir eine Kombination davon. Momentan sehe ich vor allem das Potenzial darin, im Winter den Strom effizienter zu verbrauchen. Dann sehe ich ein grosses Potenzial bei den Fernwärmenetzen. Wenn Wärmezentralen mit einem Blockheizkraftwerk ausgerüstet werden, dann wird bei der Wärmeproduktion auch Strom produziert. Also dann, wenn geheizt wird, eine super Korrelation! Ein weiteres Potenzial sehe ich bei sehr effizienten Wärmepumpen, die auch regenerieren. Die also im Sommer Wärme wieder in den Boden schicken, um sie im Winter zu holen. Und längerfristig, gewissermassen als Elefant im Raum, gibt es Wasserstoff, den wir im Sommer mit Überschussstrom produzieren und im Winter wieder umwandeln. Doch wir müssen auch ehrlich sein: Um diese Technologie so einzusetzen, ist sie heute noch zu teuer. Obwohl ich davon ausgehe, dass die Wasserstoffproduktion günstiger wird. Bei Photovoltaik und Batteriespeichern ist das auch passiert. Wasserstoff ist gewissermassen der letzte Baustein der Energiewende, vorher gibt es viele andere Möglichkeiten, die Winterstromlücke zu schliessen.

Photovoltaik haben Sie nicht genannt.

Stimmt, die sollte ich vielleicht auch noch erwähnen (lacht). Ich habe Photovoltaik nicht genannt, weil wir es drehen und wenden können, wie wir wollen: Photovoltaik findet in der Schweiz zum grössten Teil auf den Dächern des Mittellands statt. Das bedeutet zwar viel Strom im Winter, aber eben noch mehr im Sommer. Es ist aber durchaus so, dass Photovoltaik an Fassaden im Winter ähnlich viel produzieren kann wie im Sommer. Das kann uns helfen. Noch einmal anders sieht es in den Bergen aus. Alpine Solaranlagen leisten einen grossen Anteil ihrer Produktion im Winter. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass dieser Solarstrom vergleichsweise teuer ist. Ausserdem hat Photovoltaik zwar einen allgemein guten Ruf in der Bevölkerung, doch bei der alpinen Photovoltaik gibt es Vorbehalte. Sie hat ein ähnliches Reputationsproblem wie die Windkraft, die übrigens auch ein grosses Winterstrompotenzial hätte.

Christof Bucher

Professor für Photovoltaiksysteme, Berner Fachhochschule

Alle, die jemals ein Solarpanel in der Hand hatten, vertrauen dieser Technologie.

Kann Ihre Forschung helfen, diese Reputation zu verbessern?

Unsere Aufgabe als Fachhochschule ist es, Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir erklären, warum wir überhaupt über alpine Solaranlagen reden. Ich versuche, möglichst wenig zu werten. Obwohl ich den Solarexpress des Bundesrats begrüsse und gut finde, dass wir einige Anlagen bauen. So können wir sehen, was es bedeutet, was es kostet. Ich sehe aber auch die Konkurrenzsituationen, die es teils mit dem Landschaftsschutz oder den Lebensräumen für Tiere gibt. Ich sage auch ausdrücklich nicht: Ohne Anlagen in den Alpen schaffen wir es nicht. Sie haben aber sehr wohl Vorteile. Ein Photovoltaikmodul, das unser Labor auf dem Jungfraujoch betreibt, produziert im Januar fünfmal mehr Strom als ein Modul hier auf unserem Campus in Burgdorf. Über den ganzen Winter sind es zweimal mehr und über das ganze Jahr verteilt vielleicht noch anderthalbmal. Diese Vorteile wollen wir den Leuten aufzeigen, damit sie das einordnen und auch entscheiden können, ob es ihnen das wert ist. Doch vielleicht sagen sie auch: lieber keine Photovoltaik in den Bergen, dafür doppelt so viel bei uns im Mittelland. Das gibt nämlich genauso viel Winterstrom.

Sie haben die Fassadenanlagen erwähnt. Auch von denen sehen wir immer mehr. Warum?

Bis jetzt sind Fassadenanlagen vor allem ein Image- und Kommunikationsthema. Doch auch hier ist wichtig, zu zeigen, dass es diese Möglichkeit gibt. Denn so vermitteln wir auch: Genauso wie ein Dach ohne Solaranlage verschwendete Fläche ist, ist es eine Fassade, an die den ganzen Winter die Sonne scheint, ohne dass Strom herauskommt. Und insgesamt ist das Potenzial in der Schweiz durchaus vorhanden.

Balkonanlagen sind Fassadenanlagen im Kleinen. Bieten diese ein ähnliches Potenzial?

Wir haben vor wenigen Wochen ein Projekt mit Meteotest gestartet, um genau das zu ermitteln. Noch liegen keine Zahlen vor, grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass das absolute Potenzial zwar nicht riesig ist, aber auch diese Anlagen einen hohen Winterstromanteil haben. Das Schöne an Photovoltaik ist ja: Ob ich nur ein einziges Modul am Balkon aufhänge oder eine Million in die Berge stelle – der Wirkungsgrad und die Effizienz sind immer gleich gross. Tendenziell sind sie bei einer Balkonanlage sogar noch etwas besser, weil die Kabel so kurz sind und es damit weniger Verluste gibt. Ausserdem sind die Anlagen sehr günstig, denn es braucht keine Firma, die sie installiert. Doch der möglicherweise noch wichtigere Punkt ist: Balkonanlagen ermöglichen plötzlich viel mehr Menschen – nämlich den Mieterinnen und Mietern –, Solarstrom zu produzieren, als vorher, wo das nur Eigentümerinnen und Eigentümer konnten. Alle, die jemals ein Photovoltaikmodul in der Hand hatten und dann gesehen haben, wie es Strom produziert, vertrauen dieser Technologie. Wenn man überlegt, wie lange man auf einem Velo in die Pedale treten müsste, um die Energie rauszuholen, die ein Panel pro Tag produziert – da wäre man mehrere Tage unterwegs. Das zu sehen, ist sehr wertvoll. So merkt man auch, dass die Energiewende gelingen kann und Solarstrom nicht einfach eine Mode ist.

Die Photovoltaik hat inzwischen viele Anwendungen: Agri-PV, Solar-Lärmschutzwände an Autobahnen, bifaziale Panels an Wintergärten – was ist aus Sicht der Energiewende am spannendsten?

Ich möchte vor allem die Agri-Photovoltaik hervorheben, an die ich stark glaube. Erstens ist das Potenzial riesengross. Wenn wir daran denken, wie viele Agrarkulturen es in der Schweiz gibt, die einen Witterungsschutz brauchen – Gewächshäuser, Hagelschutznetze, Sonnenschütze von Beeren – das sind riesige Flächen, wo die Landwirtschaft mit Photovoltaik einen Vorteil erzielen kann. Der zweite Grund ist, dass es sehr einfach ist, Agri-Photovoltaikanlagen zu erstellen. Landwirtinnen und Landwirte sind sehr kreativ darin, Dinge selbst umzusetzen, und haben handwerkliches Geschick. Sie können in Eigenregie eine kleine Agri-Photovoltaikanlage bauen. Der springende Punkt ist aber die Aufzählung in Ihrer Frage. In der Schweiz haben wir sehr viel mehr bebaute Fläche als die, auf der Gebäude stehen. Überall, wo der Mensch bereits Hand angelegt hat – sei das eine Lärmschutzwand, ein Perrondach, ein Parkplatz –, nutzen wir heute die Solarenergie nicht, obwohl wir es könnten. Ich denke, diese Vielfalt ist eine Chance. Auch wenn herausfordernd wird, all diese Flächen zu erschliessen. Ich sehe das aber als faszinierende Herausforderung, denn wir können als Fachhochschule helfen, schnell Antworten zu finden, damit es im Spezialfall auch funktioniert.

Apropos Autobahnen: Photovoltaik und E-Mobilität gelten als ideales Paar. Teilen Sie diese Einschätzung?

Davon bin ich vollständig überzeugt. Wir müssen uns bewusst sein, dass Fahrzeuge den grössten Teil ungenutzt herumstehen, insbesondere am Mittag. Diese Autos könnten alle an der Steckdose hängen. Egal ob zuhause oder am Arbeitsplatz, Hauptsache am Netz – denn das Netz ist nach wie vor ein sehr wertvolles Gut, und es wird immer wichtiger. Denn ob jetzt meine Photovoltaikanlage daheim mein Auto lädt oder ins Netz einspeist und ich gleichzeitig mein Auto über das Netz lade, spielt eigentlich keine grosse Rolle. Wichtig ist, dass Elektromobilität einen flexiblen Verbraucher bringt. Photovoltaik braucht solche Verbraucher, deshalb ist beides zusammen ein Dream-Team!

Werden wir auch irgendwann wieder Autos mit integrierten Solarzellen sehen? Genau das gab es in den 90er-Jahren an der Tour de Sol, die damals ja auch eine Initiative Ihres Instituts war.

Für mich ist das heute eine Spielerei. Ich glaube nicht, dass sich dies in Europa auf breiter Front durchsetzt. Ich kann mir einzelne Anwendungen vorstellen, grosse Kühllastwagen beispielsweise. Immer wenn die Sonne draufbrennt, brauchen sie mehr Kühlleistung, damit die Ware nicht verdirbt. Solarpanels auf dem Dach könnten vielleicht den zusätzlichen Strombedarf decken. Allgemein muss man aber sehen, dass die Parkplatzfläche eines Personenwagens gerade reicht, um den Jahresbedarf eines E-Autos zu produzieren. Das sind etwa zehn Quadratmeter, die werfen rund zwei Megawattstunden Strom ab, das reicht etwa für 10'000 Kilometer. Es ist also viel günstiger, ein Elektroauto unter ein Carport zu stellen, auf dem zwei Kilowatt Leistung installiert sind, als einen Bruchteil dieser Leistung in die Fahrzeughülle zu integrieren. Dann müsste man ja noch sicherstellen, dass man das Auto immer in der Sonne abstellt. Beim Fahren ist die produzierte Energie ohnehin nicht relevant. Das, was man so eventuell mehr an Reichweite herausholt, hat die Batterie mehrfach als Reserve. Dann lieber das Auto in den Schatten stellen, das ist angenehmer.

Dennoch der Blick zurück: Zu Zeiten der Tour de Sol gab es in der Schweiz viel solaren Pioniergeist. In Burgdorf wird seit 1988 zur Photovoltaik geforscht, die Anlage auf dem Dach war einst die grösste auf einem Gebäudedach in Europa. Täuscht der Eindruck, oder ist uns der Pioniergeist heute abhandengekommen?

Den Pioniergeist gibt es noch, doch leider hat die Schweiz den Anschluss an die Weltspitze schon lange verloren, zumindest was Nutzung, Zubau und Produktion von Photovoltaik betrifft. In der Forschung und in Spezialanwendungen haben wir noch ein paar Bereiche, in denen wir Spitze sind, zum Beispiel in der Gebäudeintegration. Wenn es darum geht, schöne Photovoltaikgebäude zu bauen, sind wir ganz weit vorne, auch weltweit. Aber in der Breite haben uns viele andere Länder überholt. Aber es gibt noch andere Bereiche, wo wir wieder vorne mit dabei sein können. Etwas, das unser Labor und mich persönlich interessiert und bei dem auch Energieversorgungsunternehmen wie IWB einen Beitrag leisten können, ist die dezentrale Nutzung von Flexibilitäten. Ich finde die Frage spannend, wie wir beispielsweise Areale oder Mehrfamilienhäuser energiewendekompatibel machen können.

Wir müssen ihr Solar- und Flexibilitätspotenzial ausnutzen. Sie werden zwar immer noch ans Netz angeschlossen sein und zeitweise Energie vom Netz beziehen, sie werden das Netz aber auch unterstützen und stabilisieren. Das hilft auch den Energieversorgungsunternehmen, denn es reduziert ihre Infrastrukturkosten und leistet einen Beitrag an die Versorgungssicherheit. Unser Stromnetz wird immer dezentraler und dynamischer. Es wird auch Areale mit Backup-Systemen geben, die bei Stromknappheit autonom betrieben werden können. Wenn wir solche Pilotprojekte realisieren, beweisen wir auch heute noch Pioniergeist und zeigen den Weg in eine nachhaltige, dezentrale und einheimische Energiezukunft auf.

Christof Bucher

Christof Bucher ist Professor für Photovoltaiksysteme und leitet das Labor für Photovoltaiksysteme der Berner Fachhochschule in Burgdorf. Dort wird unter anderem das Langzeitverhalten von Solaranlagen und das Verhalten von Wechselrichtern im Stromnetz untersucht. Nach seinem Studium an der ETH Zürich war Bucher Projektleiter Photovoltaik und Verteilnetze bei einem Ingenieurbüro und Dozent in Teilzeit, bevor er 2020 komplett in die Forschung wechselte.