Das Basler Fernwärmenetz ausbauen ist echte Arbeit. Von der viele meist gar nichts mehr merken. Recht so!
Wissen Sie, wo das grösste Fernwärmenetz der Schweiz liegt? In Basel, richtig. Doch wo genau, das wissen die wenigsten. Wer selbst einen Anschluss hat, erinnert sich vielleicht, wo die Leitung ins Haus gelangt. Oder wenn gerade irgendwo ein Graben geöffnet ist, merkt man, wo diese wichtigen Adern des klimafreundlichen Lebens durchgehen. Denn das Fernwärmenetz in Basel wird grösser und dichter. Bis 2037 sollen rund 60 Kilometer Leitungen und mehrere Tausend Hausanschlüsse dazukommen. Was passiert da genau?
Eine Allee mit Unwägbarkeiten
Es ist 9 Uhr 30 am St. Galler-Ring. Die Kaffeepause ist vorbei, und die Arbeit im Graben geht weiter. Hier ist eine der Baustellen, an denen gerade das Basler Fernwärmenetz wächst. Über 300 Meter Transportleitungen werden gelegt, zwölf Hausanschlüsse erstellt. Torsten Klein ist zuständiger Projektleiter von IWB. Im Schatten der Alleebäume hält er kurz an. «Wir müssen uns ranhalten. Nach Ostern haben wir begonnen, bis Ende Juni sollen die Bauarbeiten hier abgeschlossen sein.» Man wolle den Alltag der Menschen nur so lange wie unbedingt nötig stören.
Doch es sind die Bäume, die es den Leuten vom Bau gerade nicht einfach machen. Das Wurzelwerk ist sehr dicht. «Wenn wir da mit dem Bagger durchgingen, würden wir viel Schaden anrichten», erklärt Klein. Also wird das Erdreich Stück für Stück abgesaugt, und ein Baumspezialist schützt das Wurzelwerk mit Vlies und Jutetüchern. Das bewahrt die Bäume, gefährdet aber den Zeitplan von Torsten Klein. «So etwas gehört bei Fernwärmebaustellen halt dazu. Im Untergrund weisst du nie, was dich erwartet.»
Was wartet im Untergrund?
Dass der Tiefbau immer wieder Überraschungen birgt, weiss auch Sandra Rudolf. Sie ist Bauleiterin beim Ingenieurunternehmen Gruner, das hier sämtliche Arbeiten koordiniert. «Vor ein paar Tagen sind wir auf eine Leitung gestossen, bei der wir nicht wussten, worum es sich handelt.»
Manchmal stossen wir auf unbekannte Leitungen.
Die meisten unterirdischen Infrastrukturen seien zwar digital erfasst, aber bei einer alten Stadt wie Basel gebe es immer wieder Relikte aus der vordigitalen Zeit. «Manchmal hilft auch nur, die Leitung anzubohren. Natürlich nur, nachdem wir alle Sicherheitsmassnahmen getroffen haben.»
Und dann folgten ja erst die meisten Arbeitsschritte, erklärt sie. Bis am Schluss die Leitungen vermessen und im geografischen Informationssystem verzeichnet werden, damit zumindest sie in Zukunft keine Überraschungen mehr bereiten.
Die Nachfrage nach Fernwärme hat zugenommen
Trotz der vielen Arbeitsschritte machen die Grabarbeiten den grössten Arbeitsaufwand auf einer Fernwärmebaustelle aus. Das bestätigt Peter Koller, Polier der für den Tiefbau zuständigen Albin Borer AG. Auch in dieser Hinsicht sei die Stadt schwieriges Terrain, erklärt er. «Du hast wenig Platz zum Rangieren, für das Baumaterial und den Aushub. Ausserdem musst du in alle Richtungen die Augen offen halten.» Neben der Baustelle fahren Velos über die umgeleitete Fahrspur. Wie aufs Stichwort läutet die Pausenglocke des nahen Schulhauses. Man komme gut aneinander vorbei, sagt Koller. Solange alle aufeinander Rücksicht nähmen.
Wir spüren, dass die Nachfrage nach Fernwärme zugenommen hat.
Ein paar Meter weiter steht Dietmar Seiler neben dem Graben und redet mit seiner Kollegin, die unten Schweissnähte dokumentiert. Er ist Bauleiter bei der Bilfinger SE, die hier den Rohrleitungsbau verantwortet. Das Unternehmen – und auch Dietmar Seiler – ist in ganz Europa für Fernwärmeprojekte unterwegs. «Wir spüren ganz klar, dass die Nachfrage zugenommen hat. Alle wollen umweltfreundlichere Wärme und bauen Fernwärmenetze neu oder aus.» Der Leitungsbau sei komplex, weshalb Netzbetreiber wie IWB oft auf Spezialfirmen zurückgreifen. Seiler erklärt, wie die Leitungen geschweisst, beschrieben und geröntgt werden.
Beim Bauen in der Stadt müssen wir in alle Richtungen die Augen offen halten.
Immerhin fliesst später heisses Wasser unter Hochdruck durch, da muss das Material fehlerfrei sein. Dann brauche es Dehnungszonen und spezielles Dämmmaterial. Er möchte gerne noch länger erklären, aber er muss weiter auf eine Fernwärmebaustelle im Mittelland.
Fernwärme im zweiten Anlauf
Es ist 10 Uhr 30. In knapp zwei Kilometern Luftlinie Entfernung ist Ruhe eingekehrt. Die Gäste des Hotels Schweizerhof gleich neben dem Bahnhof Basel SBB haben ausgecheckt, das Frühstücksbuffet ist bereits abgeräumt. So haben Eigentümerin Christine Ruch-Goetzinger und Direktor Markus Füglister, mit dem sie das Hotel führt, kurz Zeit zum Gespräch.
Auch ihr Hotel hat einen Fernwärmeanschluss, allerdings schon seit vergangenem Herbst. «Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir den Anschluss schon viel länger», sagt die Eigentümerin. Zunächst waren Anschlussprojekte über den Bahnhof oder die nahe gelegenen Strassen angedacht gewesen, konnten aber nicht realisiert werden. Mit dem beschlossenen Fernwärmeausbau haben dann das Hotel, IWB und weitere Partner noch einmal einen Anlauf genommen, Gas durch Fernwärme zu ersetzen. Der Anschluss läuft nun durch das benachbarte Hotel Viktoria. Keine einfache Aufgabe: Die Projektleitung bei IWB musste mit den beteiligten Stakeholdern eine Lösung finden, die für alle Seiten verträglich und technisch einwandfreie ist.
Wenig Baulärm, viel Tempo
Eine neue Heizung in einem Hotel, das ist keine Selbstverständlichkeit. Vor allem, wenn dafür neue Leitungen von aussen ins Haus gelegt werden müssen. «Glücklicherweise sind wir ein Hotel Garni», erklärt Direktor Markus Füglister. «Wir haben keinen Restaurantbetrieb tagsüber. Also konnten die Arbeiten dann stattfinden.» Frühmorgens oder am Abend seien Ruhestörungen tabu, erklärt er. «Gäste bezahlen für Ruhe und haben kein Verständnis, dass genau während ihrem Aufenthalt eine neue Heizung kommt.»
Gäste zahlen für Ruhe. Egal, ob gerade eine neue Heizung kommt.
Gebaut wurde deshalb im Sommer, ausserhalb der Heizperiode. Das bedeutete, dass nur für die Warmwasseraufbereitung eine Alternative gefunden werden musste. IWB hat hierfür sogenannte «Hot Boys» aufgestellt, temporäre Wärmeerzeuger, die mit Strom betrieben werden. Allgemein hat die IWB-Projektleitung ein hohes Tempo möglich gemacht. Anpassungen am Leitungsverlauf wurden spontan und unkompliziert umgesetzt.
Spuren der Geschichte
Das Hotel Schweizerhof hat in seiner Geschichte schon viele Technologien kommen und gehen sehen. 1864 war es das erste Hotel am Platz. 32 Jahre später übernahm es der Urgrossvater von Christine Ruch-Goetzinger. «Er sah die Nähe zur noch jungen Centralbahn als Vorteil. Und er sollte recht behalten», meint sie. Beleuchtet worden sei das Hotel damals noch mit Kerzenlicht, beheizt mit Kohle. «Ich selber habe noch mit Registrierkassen gearbeitet, als ich als junge Frau hier begonnen habe.» Die Heizung sei also nicht das Einzige, was sich verändert habe.
Der direkte Draht zur Heizungstechnik
Im Untergeschoss des Hotels wird dessen Geschichte greifbar. Neben dem Hotellift stehen in Vitrinen alte Waschschüsseln neben Silberbesteck. An der Wand hängen Fotografien und Speisekarten, und wer will, findet darin Spuren der beiden Weltkriege.
Hinter einer Brandschutztür geht es in die Kellerräume. Dort enden blaue Fliesen an der Wand abrupt; hier war einst die Küche, erklärt Markus Füglister. In einem Nebenraum, wo heute Wäsche lagert, waren einst Öltanks – die vorletzte Heizung. Und gegenüber hinter einer Sicherheitstür blitzen Rohre durch einen Raum – hier ist das Hotel mit dem Fernwärmenetz verbunden. Die Übergabestation gehört dem Hotel, überwacht wird sie auf dessen Wunsch aber von IWB, sagt Füglister. «Wenn wir merken, dass kein warmes Wasser mehr kommt, ist es zu spät.»
Die Seele und der Zeitgeist
Mit dem Lift gelangt man in den ersten Stock. Dort befindet sich ein besonderer Raum: Zimmer 12. Es sei schon im Kaufvertrag des Urgrossvaters als Sitzungszimmer vermerkt gewesen, erzählt Christine Ruch-Goetzinger. Gemälde, die ihn und seine Ehefrau zeigen, hängen an der Wand. Eine lange Tafel mit Biedermeierstühlen steht mitten im Raum. So habe ihn Generation für Generation auch belassen, erklärt die Eigentümerin. «Obwohl sich mit einem Gästezimmer viel mehr Geld verdienen liesse.»
«Ein Stammgast hat mir vor unserem letzten Umbau gesagt, ich solle darauf achten, dass die Seele im Haus bleibt.» Lange habe sie darüber nachgedacht, was das sein könne, die Seele. «Irgendwann war mir klar, dass es die Geschichte ist. Unsere Gäste und auch unsere Angestellten sollen etwas finden können, mit dem sie das Haus identifizieren.» Durch die weissen Gardinen von Zimmer 12 dringt gedämpft der Lärm vom Centralbahnplatz. Das Leben unserer Zeit auf dem Asphalt, darunter wachsen neue, klimafreundliche Adern. Zeitgeist? Wohl eher wichtige Zeichen der Zeit.
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