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Klimadreh
Magazin

Energiegeschichten

Franck Areal Basel: noch besser als neu

In einem ehemaligen Industrieareal wird die Dekarbonisierung konkret. Erneuerbare Energie spielt eine Rolle, aber nicht die einzige.
In einem ehemaligen Industrieareal wird die Dekarbonisierung konkret. Erneuerbare Energie spielt eine Rolle, aber nicht die einzige. (Fotos: Christian Aeberhard)

Ein Areal in der Stadt – geht das auch klimaneutral? Das Franck Areal in Basel will es beweisen. Dank einer alten Idee, die sehr aktuell ist: der Kreis, der sich schliesst.

Barbara Buser ist nicht da. Doch es hilft nichts: Wer das Basler Franck Areal verstehen will, muss mit der Frau sprechen, die schon viele Areale umgestaltet hat. Nur ist die Architektin gerade verspätet. Schliesslich kommt sie doch noch atemlos ins Büro und liefert den Grund gleich mit: Küchen. «Vier komplette Forster-Küchen mit Granitabdeckung. Morgen wären sie in der Deponie gelandet. Ein Wahnsinn!» Buser hat die Küchen gerettet, in wenigen Tagen werden sie auf das Areal geliefert. «Bist du am Wochenende hier?», fragt sie einen Arbeitskollegen. Wir sind also mitten im Thema: Forster-Küchen auf dem Franck Areal, Bestehendes weiter nutzen. Ein weiterer Beitrag zum CO2-neutralen Bauen. Ein Stück Klimaschutz, wortwörtlich.

Ohne Tanz kein klimaneutrales Areal

Der Name Franck ist vor allem älteren Generationen noch bekannt. Das gleichnamige Kaffeeersatzprodukt aus gerösteten Zichorien wurde hier in Basel produziert. Heute lagert keine Zichorie mehr in den grossen Silos, wo unser Rundgang mit Barbara Buser beginnt. Stattdessen öffnen sich riesige Kammern vor uns. «Das hier ist die Raison d’Être des ganzen Areals», beginnt Buser. Denn hier soll ein Ort entstehen, der dem zeitgenössischen Tanz viel Platz gibt. Nach solch einem Ort suchte die Regisseurin und Choreografin Corinne Eckenstein in Basel schon lange. Fündig wurde sie hier, wo die Industrie eine Leerstelle hinterlassen hat.

Barbara Buser im Interview auf dem Franck Areal

Barbara Buser

Projektentwicklerin, Wegwarte AG

Weniger neu bauen spart am meisten Emissionen.

 

Wie man beim Bauen den Klimawandel mitdenkt

Doch Barbara Buser will nicht einfach ein Tanzzentrum schaffen. Die Architektin entwickelt mit Vorliebe Areale, die bereits bestehen. Ihr Credo: Nicht neu bauen, weiterbauen. «Weniger neu bauen spart am meisten Emissionen», sagt sie oben auf der grossen Galerie im Silo. Durch Wiederverwenden von bestehenden Materialien sinke der CO2-Fussabdruck eines Gebäudes um rund zwei Drittel. «Wir haben das bei einem Projekt in Winterthur ausgerechnet: Die graue Energie eines Neubaus wäre erst nach 60 Jahren durch erneuerbare Energieproduktion vor Ort ausgeglichen. Mit unserer Herangehensweise sind wir viel früher klimapositiv.» Das Material dafür sei da. Zum Beweis zeigt sie auf fast neue Heizkörper, die unten in einem Silo lagern. Ein Luxushotel hat sie nach 14 Jahren in Betrieb wieder ausgebaut.

Keine Berührungsangst mit dem WC

Draussen auf dem Hof stehen neben Fenstern drei mobile Komposttoiletten, wie man sie von Festivals kennt. «Eine kleine Vorwarnung», sagt Barbara Buser und schmunzelt. Auf dem Franck Areal sollen Trenn-WCs zum Einsatz kommen, die Urin getrennt sammeln und so wichtige Nährstoffe rückgewinnen, erklärt sie. «Auch dieser Kreislauf muss unbedingt geschlossen werden.» Abwassertrennung sei ungewohnt, es brauche dafür auch Kompostsilos, um die restlichen Hinterlassenschaften der künftigen Bewohnerinnen und Bewohner aufzufangen. «Das können sich heute viele noch nicht vorstellen. Doch wenn man es nicht probiert, kann man nicht zeigen, dass es geht», sagt Barbara Buser.

Über 50% des weltweiten CO2-Ausstosses fällt gemäss UN für die Gewinnung und Herstellung neuer Materialien an.
Über 50% des weltweiten CO2-Ausstosses fällt gemäss UN für die Gewinnung und Herstellung neuer Materialien an.

 

Erneuerbare Energie trifft Kreislauf-Gedanken

So wichtig Materialkreisläufe sind, interessiert uns trotzdem, wie dieses Areal sich mit Energie versorgen will. Die Wärme könnte aus der benachbarten Thomy-Fabrik kommen oder aus dem Basler Fernwärmenetz, meint Buser. Auf jeden Fall solle aber Photovoltaik Strom liefern, und zwar wiederverwendete Solarpanels, ergänzt durch Second-Life-Batterien. «Das ist von einem rein ökonomischen Standpunkt vielleicht nicht die beste Lösung», kommentiert Barbara Buser. Es gebe heute günstige Panels mit besserem Wirkungsgrad. «Aber diese hier sind schon da. Die kann man heute aufs Dach stellen und anfangen mit dieser Dekarbonisierung, von der alle reden.» Doch es bietet sich noch eine weitere Energiequelle auf dem Areal an. Barbara Buser weist nach oben. «Momentan hat der alte Kamin überhaupt keine Funk­tion, das lässt sich ändern.» Ihre Idee: Ein grosses Gewicht wird im Kamin heraufgezogen und herunter­ge­lassen und dient als weiterer Energiespeicher. Obendrauf noch eine Windturbine. Neuland in der Industriebrache.

Die neue Realität simulieren

Energie ist das Stichwort für Olivier Ferilli. Als Senior Innovation Developer bei IWB begleitet er das Projekt. Da hier der Hauptfokus auf Ökologie und Innovation gesetzt ist, entwickelt man die Lösungen gemeinsam mit den Arealentwicklern. Standardlösungen seien aber nicht gefragt. «Wir müssen beispielsweise den Energieverbrauch relativ zum Materialeinsatz betrachten. Und ausserdem sehr flexibel sein.» Deshalb haben Ferilli und sein Team ein digitales Modell des Areals geschaffen – den sogenannten digitalen Zwilling. An ihm lässt sich simulieren, was zum Beispiel eine zusätzliche Dämmung bringt und welchen ökologischen Fussabdruck sie verursacht. Regelmässig tauscht sich Ferillis Team mit dem von Barbara Buser aus. «Oft klären wir eine Frage und entdecken dabei zwei neue. Das ist ein sehr wertvoller, explorativer Prozess.»

Olivier Ferilli auf dem Dach des Franck Areals

Olivier Ferilli

Senior Innovation Developer, IWB

Wir müssen beispielsweise den Energieverbrauch relativ zum Materialeinsatz betrachten.

 

Der digitale Zwilling ermöglicht, Lösungen zu finden, die sonst vielleicht gar nicht in Erwägung gezogen worden wären. Second-Life-Batterien im Keller aus alten Elektrofahrzeugen oder vielleicht doch lieber neue und dafür ressourcenschonend hergestellte Salzbatterien, die dafür zusätzliche Abwärme produzieren? Diese Frage ist gerade aktuell. Die gebrauchten Solarpanels? «Lassen wir gerade im Labor prüfen», sagt Ferilli. Eventuell entsprechen diese nicht mehr den heutigen Normen. Dann suche man lieber jüngere Second-Life-Panels. Und das Windrad auf dem Kamin? «Spannend, aber sicher nicht Standard.» Ferilli will zuerst Windmessungen machen lassen, um das Potenzial abzuschätzen. «Man muss gewillt sein, Dinge zu probieren», kommentiert er. So sollen auch Menschen aus dem Quartier helfen, die Solaranlage zu installieren.

Ein Haus für Kreislaufwirtschaft

Wir wechseln noch einmal in die Ecke des Areals, die momentan am unzugänglichsten ist. «Wir stehen hier im Kreislauf Haus, das zum Zentrum für zirkuläre Wirtschaft werden soll», erklärt Frederike Asael, Präsidentin des Vereins CQ für zirkuläre Intelligenz. Momentan arbeite der Verein am Aufbau eines Basler Ökosystems für Kreislaufwirtschaft. Sie öffnet die Tür zu einem Gebäuderiegel. «Wenn das Kreislauf Haus 2026 bezugsbereit ist, bieten wir hier auf 5000 Quadratmetern kreislauffähigen Start-ups und Unternehmen ein Zuhause.» Die Zeit sei reif, meint sie, und ihre Stimme hallt in den leeren Hallen. Immer mehr Unternehmen spürten den Druck, ihre Geschäftsmodelle anzupassen. «Weltweit werden nur acht Prozent aller Ressourcen wiederverwendet. Hier geht es also nicht um Philanthropie, sondern um brachliegendes wirtschaftliches Potenzial.»

Frederike Asael im Gespräch mit Barbara Buser auf dem Franck Areal

Frederike Asael

Präsidentin, CQ – Verein für zirkuläre Intelligenz

Bei der Kreislaufwirtschaft geht es nicht um Philanthropie, sondern um brachliegendes Potenzial.

 

Rein in den Mainstream

Während acht Jahren hat Frederike Asael Start-ups aus der nachhaltigen Wirtschaft begleitet. Momentan ist sie damit beschäftigt, der Kreislaufwirtschaft in Basel zu einem schnelleren Durchbruch zu verhelfen. Dies tut sie nicht alleine, sondern mit Gleichgesinnten und vernetzt. Community Building nennt sich das. Und noch ein wichtiger Anglizismus: Mainstreaming. Was das bedeutet? «Wir arbeiten daran, dass die Kreislaufwirtschaft in ein paar Jahren ganz selbstverständlich in Wirtschaft und Gesellschaft verankert ist.» Die Start-ups aus dem Kreislauf Haus sollen einerseits andere Gründerinnen und Gründer inspirieren und andererseits neue Impulse für die Wirtschaft setzen und so Teil des Mainstreams werden. «Dann sind kreislauffähige Produkte nicht mehr eine Nische, sondern für alle.»

Hier wird schon gearbeitet

Was im Kreislauf Haus noch Zukunft ist, wird weiter vorne im Areal schon gelebt. Dort hat der Impact Hub Basel seinen Sitz. Teppichboden statt Lagerhallenästhetik, Menschen arbeiten an Computern. Rahel Gerber empfängt uns im Co-Working-Space. Sie ist eine der Geschäftsführerinnen, unter anderem spezialisiert auf Kreislaufwirtschaft, und mit dem Impact Hub vor gut einem Jahr aus dem Dreispitz hergezogen. «Dort hatten wir viel grössere Büros und das Problem, dass nach Corona der Bedarf nach Co-Working nicht wieder gleich angezogen hat», erklärt sie. «Wir sind aber nicht nur aufgrund der Platzverhältnisse hergezogen, sondern weil es thematisch perfekt passt.»

Rahel Gerber am Arbeiten auf dem Franck Areal

Rahel Gerber

Managing Partner, Impact Hub Basel

Wenn wir unseren Umgang mit Materialien ändern, kommen wir auch dem Klimaziel einen grossen Schritt näher.

 

Kreislaufenergie aus Basel

Auch Rahel Gerber ist überzeugt, dass die Zeit für ressourcenschonende Geschäftsmodelle gekommen ist. «Rund 55 Prozent der CO2-Emissionen fallen für die Gewinnung und Verarbeitung materieller Ressourcen an. Wenn wir das ändern, kommen wir auch dem Klimaziel einen grossen Schritt näher.» Sie begleite gerade ein Unternehmen, das sein Businessmodell überprüfen lassen will. Mieten statt kaufen könnte ein Ansatz sein. «Oft braucht es jemand Externes, der so etwas aufzeigen kann. Das ist ein Innovationsprozess.» Impact Hub Basel will solche Prozesse anstossen. Impact Hub ist weltweit das grösste Netzwerk für soziales und nachhaltiges Unternehmertum. Die eigenständigen Standorte gibt es in über 60 Ländern. Impact Hub Basel hat innert sechs Jahren schon über 300 Start-ups begleitet. Rahel Gerber lächelt und trinkt ein Glas Wasser, stellt es auf einen Tisch aus alten Bauplatten. Das grosse Projekt Klimaneutralität, es wirkt plötzlich ganz nah.