In der Basler Freien Strasse wird gebaut. Unter der Oberfläche wächst die klimafreundliche «Heizung» der Stadt.
Man muss nur den Schuhen folgen. Bunte, weisse, schwarze. Viele Turnschuhe, aber auch viele aus Leder laufen kreuz und quer. Fängt man oben an, das Tram vom Bankverein noch im Ohr, gleiten sie zunächst lautlos auf grossen Steinplatten über die ganze Breite der Strasse. Dann kommt Asphalt, links und rechts Trottoirränder. Schon bald die ersten Narben im Boden, Metallplatten, hölzerne Absperrungen, die den Weg mal links, mal rechts lenken. Basels Freie Strasse gehört den Menschen, die zu Fuss gehen. Und momentan auch den Maschinen und den Leuten vom Bau. Unter der Freien Strasse passiert ein Teil von Basels Energiewende.
Endspurt vor den Feiertagen
Am Markt warten drei, die sich häufig auf der Freien Strasse treffen, teils wöchentlich. Matthias Fluri, Markus Müller und Steffen Stoll vertreten die Bauherrschaften Tiefbauamt Basel-Stadt und IWB und ihre Vorhaben an der Freien Strasse. Vor allem mit der Fernwärme hängt vieles zusammen. Nicht nur, dass sie vielen Menschen eine ökologischen Heizungsersatz ermöglicht. Wir machen uns auf den Weg zurück Richtung Bankverein, tauchen ein in die Menge. Am Strassenrand wartet eingepackt bereits die Weihnachtsbeleuchtung. «Vor dem Weihnachtsverkauf muss alles wieder zu sein», erklärt Matthias Fluri, Gesamtprojektleiter vom Tiefbauamt. Danach öffnet die Baustelle wieder – nur, um zur Fasnacht erneut temporär geschlossen zu werden.
Wärme und andere Leitungen
Auf einer gewöhnlichen Baustelle bräuchte es diese Unterbrüche nicht. Nur ist die Freie Strasse keine gewöhnliche Baustelle. Abertausend Menschen besuchen sie, gehen in den Geschäften ein und aus. Man kann die Strasse deshalb nicht einfach sperren, selbst wenn das Bauvorhaben sehr komplex ist: Zum einen ist da die Oberfläche, die künftig von der Asphaltstrasse mit beidseitigen Trottoirs zu einer durchgehenden, fussgängerfreundlichen Flaniermeile mit Quarzsandsteinplatten werden soll. Da dieser hochwertige Belag viele Jahre unangetastet bleiben soll, nutzt andererseits IWB die Gelegenheit und erneuert Trinkwasser- und Stromleitungen. Zudem baut sie neue Fernwärmeleitungen ein. «Einige Leitungen würden zwar noch etwas länger halten», erklärt Steffen Stoll, bei IWB für die operative Planung der Wärme zuständig. «Doch alles gemeinsam zu erneuern, ist an so einem Ort einfach sinnvoller.»
Ein Netz, das sich schliesst
Zweihundert Meter weiter beginnt ein langes Kunststoffzelt strassenaufwärts. «Die Fernwärmeleitungen befinden sich unter dem Zelt», erklärt Stoll. Im unteren Abschnitt der Freien Strasse wird das Basler Fernwärmenetz erweitert. Davon profitiert neben den umliegenden Liegenschaften, die so Zugang zu Wärme aus erneuerbaren Energien erhalten, auch die ganze Stadt. «Wir planen unser Fernwärmenetz möglichst engmaschig und ohne Sackgassen», sagt Steffen Stoll. Es sei wie beim Strom- und Wassernetz das Prinzip der Redundanz und senke die Störungsanfälligkeit, da beim Ausfall eines Teilstücks der Rest des Netzes von zwei Seiten weiterversorgt werden könne. Hier an der Freien Strasse werde quasi eine weitere Lücke geschlossen. Auch deshalb erfolgen die Arbeiten etappenweise; nicht überall muss Fernwärme unter den Boden.
Die allermeisten Geschäfte freuen sich auf die neue Strasse. Das hier ist das Aushängeschild der Stadt.
Fernwärme in unangetastetem Gebiet
Ihren ursprünglichen Etappenplan mussten die Planer allerdings anpassen. «Dazu muss man etwas ausholen», meint Matthias Fluri, dessen Amt die Koordination übernimmt, sobald drei Parteien gleichzeitig bauen. Neben dem Tiefbauamt und IWB verlegt auch noch Swisscom eigene Leitungen. Das Erdreich unter der Freien Strasse sei bereits mit vielen Leitungen belegt, so Fluri weiter. «Für die Trasse der Fernwärme benötigen wir deshalb bisher unangetastetes Gebiet.» Bevor die Bagger auffahren, untersucht die Archäologische Bodenforschung des Kantons das Erdreich. Und sie findet einiges, schliesslich ist die Freie Strasse seit dem frühen Mittelalter bebaut. «Nach rund einem Jahr Bauzeit haben wir gemerkt, dass wir den Etappenplan trotz intensiver Bemühungen anpassen müssen. Um möglichst rasch voranzukommen, arbeiten wir jetzt an mehreren Abschnitten gleichzeitig.»
Steine erzählen die Geschichte des Erdreichs
Fluri und Stoll müssen gegen den Lärm anreden. Vor dem Münsterberg, neben dem verdeckten Dreizackbrunnen, öffnet sich der Boden. Nebenan arbeitet ein Bagger. Unter der Oberfläche liegen zahlreiche Leitungen kreuz und quer übereinander. Steffen Stoll erklärt: «Die verschiedenen Netze – also Abwasser, Trinkwasser, Strom oder auch Fernwärme – verlaufen auf unterschiedlichen Tiefen.» Abwasser sei in der Regel zuunterst, da die Rohre ein Gefälle bräuchten. Trinkwasserleitungen müssten in einer Bodenschicht verlaufen, die nicht gefriert. In der Tiefe lassen Mauerreste erahnen, wie alt der Basler Untergrund ist. «Weiter oben haben wir Trinkwasserleitungen aus dem späten 19. Jahrhundert», so Stoll weiter, während nebenan Arbeiter den Boden verdichten. «Die Leitungen aus Grauguss sind an sich sehr langlebig. Aber wenn so intensiv gebaut wird, können sie Schaden nehmen. Deshalb ersetzen wir sie.»
Die Menschen schlängeln sich routiniert und von den Arbeiten unbeeindruckt zwischen den Bauabschrankungen durch. Matthias Fluri wechselt an einer Haustür ein paar Worte mit einer Ladenbesitzerin. «Die allermeisten Geschäfte freuen sich auf die neue Strasse», erklärt er später. Pläne für eine Neugestaltung der Freien Strasse gebe es schon länger, jetzt würden sie Wirklichkeit. «Das hier ist das Aushängeschild der Stadt; es war an der Zeit, es auch so zu präsentieren.»
Komplett neue Infrastruktur unter der Flaniermeile
Dass die Bauarbeiten nicht nur einen ebenen Bodenbelag, sondern eine komplett modernisierte Infrastruktur inklusive neuer Wärme brächten, sei für viele zweitrangig. Andere schätzten es. «Aber es ist heute wichtig, bei Bauprojekten eine Geschichte zu erzählen. Bei der Freien Strasse ist es die von einer in die Jahre gekommenen Strasse, die endlich zur zeitgemässen Flaniermeile wird.» Ganz bewusst habe man deshalb zwischen Bankverein und Bäumleingasse bereits früh einen Abschnitt fertiggestellt. Keine Trottoirränder mehr, eine grosszügige Fläche aus elegantem Quarzsandstein – so sei sichtbar, was die Baustelle am Ende bringe: Qualität. «Und ich glaube, die Oberfläche unterstützt auch die Akzeptanz für die Arbeiten unter der Erde.»
Die Stimmung einer Strasse
«Fais attention.» Ein Vater hält sein Kleinkind, das vom Trottoirrand stolpert. Kurz vor Feierabend wird die Menschenmenge wieder dichter. Auch auf der Baustelle nimmt das Tempo zu, die Tage bis zur Vorweihnachtszeit schwinden. Matthias Fluri und Steffen Stoll wechseln einige Worte mit dem Vorarbeiter. «Gespräche sind auf so einer Baustelle enorm wichtig», sagt Fluri. «Auch, um die Stimmung vor Ort zu spüren.» Bis jetzt ist sie gut, und Fluri und seine Kollegen setzen alles daran, dass es so bleibt. Durch häufige Besuche auf der Baustelle und in den Geschäften, und vor allem durch koordiniertes und effizientes Bauen. Wir nähern uns dem Bankverein, unter den Schuhen sind wieder Steinplatten. Unsere Begleiter winken zum Abschied. Wir schauen zurück Richtung Markt, über die Menschen, die Baustelle und das Leben, das durch die Strasse fliesst.
Verborgene Zeugen der Vergangenheit
Wenn heute Passantinnen und Passanten über die Freie Strasse flanieren, befinden sich tief unter ihnen nicht nur Dutzende Leitungen, sondern auch viele Zeugnisse der Basler Geschichte. Die Freie Strasse war früher enger, beheimatete ein Spital, und auch die Römer waren einmal dort. All diese historischen Phasen sind noch als archäologische Spuren unter der Erde erhalten. Bisher ist die Freie Strasse archäologisch wenig erforscht – schliesslich ist sie als innerstädtische Einkaufsmeile immer «belegt». Die Bauarbeiten bieten nun eine einmalige Gelegenheit für die Archäologische Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt, die im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtige Vergangenheit der Freien Strasse zu untersuchen.
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