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Im Gespräch

«Von Klimaschutz profitieren alle …»

Basel-Stadt soll 2037 als erster Kanton klimaneutral sein. Wie das gelingen soll, erarbeitet Till Berger, Leiter Fachstelle Klima, gemeinsam mit der Kantonsverwaltung.
Der Kanton Basel-Stadt will bis 2037 klimaneutral sein. Wie genau, erklärt der «Klimaverantwortliche» des Kantons im Interview. (Foto: zur Verfügung gestellt)

Basel-Stadt soll 2037 als erster Kanton klimaneutral sein. Wie das gelingen soll, erarbeitet Till Berger, Leiter Fachstelle Klima, gemeinsam mit der Kantonsverwaltung.

Herr Berger, Sie leiten die Fachstelle Klima des Kantons Basel-Stadt. Erklären Sie kurz, was Sie tun.

Die Fachstelle Klima hat die strategische Verantwortung für die Treibhausgasreduktion im Kanton. Wir koordinieren innerhalb der Verwaltung, aber wir motivieren und mobilisieren auch Akteure aus der ganzen Gesellschaft, ihren Beitrag zu leisten. Das machen wir unter anderem mit Strategien. Bereits veröffentlicht ist die Strategie «Netto-Null 2037» zu den direkten Emissionen im Kanton. Zu dieser erarbeiten wir gerade einen Aktionsplan mit den Massnahmen. Den Beitrag der kantonalen Verwaltung zeigen wir mit der Strategie «Klimaneutrale Verwaltung» auf. Auch diese ist in Erarbeitung. Ein weiteres wichtiges Instrument ist die Strategie zu den indirekten Emissionen, die der Kanton ausserhalb seiner Grenzen auslöst. Zu unserer Arbeit gehört aber auch das regelmässige Monitoring und Controlling. Ganz wichtig ist für uns auch die Kommunikation nach aussen. Wir haben den Anspruch, die Menschen in Basel darüber zu informieren, wie wir gemeinsam das Netto-Null-Ziel erreichen können. Im Januar haben wir zudem vom Grossen Rat den Auftrag erhalten, eine Klimawirkungsabschätzung zu machen. Dabei überprüfen wir referendumsfähige Parlamentsvorlagen darauf, welche Auswirkungen sie auf das Klima haben. Das war jetzt nicht kurz, oder (lacht)?

Wo genau ziehen Sie bei Netto-Null die Grenze: Ist die Pendlerin, die nur in der Stadt arbeitet, ebenfalls betroffen? Was ist mit dem Tourist, der für ein Wochenende nach Basel kommt?

Bei Netto-Null geht es darum, dass wir die Emissionen, die in unserem Kanton entstehen, auf ein absolutes Minimum reduzieren. Den Rest holen wir durch Negativemissionen aus der Luft, sodass wir in der Summe auf null sind. Dabei gilt das Territorialprinzip. Sämtliche Mobilität, alle Gebäude und alle industriellen Prozesse auf Kantonsgebiet gehören dazu. Das betrifft also die Pendlerin, sobald sie sich im Kanton bewegt, und auch den Touristen, der etwa in der Stadt übernachtet.

Wird Basel 2037 allein klimaneutral sein? Wie weit ist die umliegende Region?

In der Region und im Vergleich mit dem grenznahen Ausland will Basel-Stadt mit seinem Zieljahr 2037 am frühesten klimaneutral sein. Der Landkreis Lörrach will dies bis 2040 erreichen. Die Kantone Aargau, Solothurn und Basel-Landschaft bis 2050. Diesen Termin hat sich auch der Bund gesetzt. Der Kanton Jura ist ein interessanter Fall. Er will seine Emissionen bis 2050 um den Faktor zehn reduzieren, auf 1.6 Tonnen pro Kopf. Aber er schliesst dabei auch die indirekten Emissionen ein, die deutlich grösser sind als das, was auf dem eigenen Gebiet ausgestossen wird. Allgemein ist Klimaschutz ein sehr dynamischer Prozess, bei dem sich die Kantone und Städte gegenseitig beeinflussen. Diejenigen, die vorangehen und zeigen, dass Klimaschutz funktioniert und einen Mehrwert bringt, haben dadurch auch eine gewisse Ausstrahlungskraft.

Wie gross ist der Einfluss des Kantons respektive Ihrer Fachstelle überhaupt?

Unsere Fachstelle ist dafür verantwortlich, dass wir mit unseren Strategien die Klimaziele erreichen können. Umgesetzt werden die Ziele in den einzelnen Departementen. Der Einfluss des Kantons ist zum Beispiel im Bereich Wohnen sehr hoch. Der Heizungsersatz ist im kantonalen Energiegesetz geregelt, der Fernwärmeausbau ist in der Hand von IWB, einem Unternehmen im Kantonsbesitz. Beim Verkehr regelt vieles der Bund, zum Beispiel die Flottengrenzwerte. Aber auch hier kann der Kanton Einfluss nehmen, etwa durch die Förderung der Elektromobilität, der aktiven Mobilität und des öffentlichen Verkehrs. Unser Einfluss ist also je nach Bereich unterschiedlich. Dort, wo wir wenig Handlungsspielraum haben, müssen wir uns umso besser mit dem Bund koordinieren.

Till Berger

Leiter Fachstelle Klima des Kantons Basel-Stadt

Der Einfluss des Kantons ist nicht überall gleich. Wo unser Spielraum klein ist, müssen wir uns mit dem Bund koordinieren.

 

Das heisst, der Kanton wäre schneller bei Netto-Null, wenn er Kompetenzen hätte, die der Bund hat?

In gewissen Fällen sicher. Wenn wir zum Beispiel Vorgaben zum Ersatz von klimabelastenden Kältemitteln machen könnten, hätten wir in diesem Bereich einen längeren Hebel. Es macht aber auch Sinn, dass gewisse Themen national geregelt sind und die Kantone eine Vollzugsfunktion haben. Der Kanton nimmt aber auf allen politischen Ebenen Einfluss, um die Energie- und Klimapolitik in der Schweiz voranzutreiben.

Viel wird über Netto-Null in der Wärme geredet. Mit Fernwärmeausbau, einzelnen Nahverbünden und Wärmepumpen dürfte dieser zu schaffen sein. Oder gibt es Hürden?

Tatsächlich ist die Fernwärme ein zentraler Teil, um das Ziel Netto-Null 2037 zu erreichen. Dies weil sie künftig insgesamt 80 Prozent des Wärmebedarfs für Raumwärme abdecken soll. Das bedingt neben dem Fernwärmeausbau durch IWB auch die Dekarbonisierung der Wärmeproduktion, also dass kein fossiler Brennstoff mehr eingesetzt wird. Letzteres gilt auch für die anderen Wärmeverbünde im Kanton. Gerade den Fernwärmeausbau muss man gut steuern, um die Belastung für die Bevölkerung gering zu halten, denn der Ausbau ist mit vielen Baustellen verbunden. Aber insgesamt ist das durchaus machbar.

Was ist mit den anderen Bereichen? Wo erwarten Sie Knacknüsse?

Netto-Null bis 2037 ist insgesamt eine Herausforderung. Denn es muss ja auch die Klimagerechtigkeit gewährleistet sein, so wie es in der Verfassung verankert ist. Wichtig ist, dass die nachhaltige Entwicklung insgesamt mitgedacht wird und Zielkonflikte bewusst angegangen werden. Aber es gibt natürlich auch Herausforderungen in konkreten Bereichen. Ein Beispiel: In Produktionsbetrieben muss Erdgas ersetzt werden. Für Hochtemperaturprozesse bietet sich beispielsweise Wasserstoff an. Aber grüner Wasserstoff ist heute noch nicht breit verfügbar. Oder wenn wir über die Kantonsgrenze hinausschauen: Wir verursachen durch die Produkte, die wir kaufen, indirekte Emissionen. Wenn wir diese Emissionen senken wollen, müssen wir auch über unsere Konsumgewohnheiten nachdenken. Diese Themen beschäftigen auch andere Städte. Da stehen alle vor den gleichen Fragen.

 

Sie tauschen sich also mit anderen Städten aus?

In Bezug auf die indirekten Emissionen haben wir einen Austausch mit dem Bund und weiteren Kantonen und Städten. Es geht darum, ein gemeinsames Vorgehen zu finden und auszuloten, mit welchen Massnahmen man die grösste Wirkung und Akzeptanz erzielt. Wir wollen voneinander lernen und gemeinsam einen guten Weg finden.

 

Die indirekten Emissionen, die Sie ansprechen, sind in der Schweiz pro Kopf weitaus grösser als die direkten Emissionen. Wie kann der Kanton hier eingreifen?

Ein Ansatz ist die Kreislaufwirtschaft. Wenn Material im Kreislauf behalten und nicht verbrannt oder sonstwie entsorgt wird, hat das nicht nur einen Einfluss auf den Materialverbrauch, sondern auch auf die Emissionen. Der Kanton kann zudem durch Angebote wie Sharing oder Reparaturen einen Einfluss nehmen, dass weniger Materialien und Güter benötigt werden und die benötigten Güter im Kreislauf bleiben. Aber auch hier liegen wichtige Hebel beim Bund, deshalb ist es wichtig, dass wir gut zusammenarbeiten.

Till Berger

Leiter Fachstelle Klima des Kantons Basel-Stadt

Niemand erreicht allein Netto-Null. Das ist ein Gemeinschaftswerk.

 

Sie sind auch auf externe Entwicklungen angewiesen. Stockt beispielsweise der Vormarsch der Elektrofahrzeuge, wird es schwierig mit der Dekarbonisierung des Verkehrs. Können Sie darauf reagieren?

Ich bin absolut überzeugt, dass bei Privatfahrzeugen dem elektrischen Antrieb die Zukunft gehört. Diese Entwicklung wird auch in der EU vorangetrieben. Aber auch der Bund und andere Akteure müssen mitziehen, etwa bei der Ladeinfrastruktur. Basel-Stadt und IWB leisten mit öffentlichen Ladestationen einen wichtigen Beitrag dazu. Trotzdem ist Basel ein offenes System: Der Grossteil des Verkehrs kommt von ausserhalb. Wenn also externe Entwicklungen ins Stocken geraten, wird es schwieriger, die Klimaziele in der Mobilität zu erreichen. Bei anderen Bereichen wie dem Heizungsersatz ist der Kanton weniger abhängig von externen Faktoren. Dort haben wir einen grösseren Einfluss und können bei Bedarf leichter handeln. Da wir aber nicht sämtliche Entwicklungen vorhersehen können, prüfen wir alle zwei Jahre, ob wir auf dem richtigen Weg sind oder Anpassungen nötig sind. Netto-Null 2037 ist ein laufender Prozess.

 

Da wir von externen Entwicklungen sprechen: Geht der Trend nicht sowieso gegen Netto-Null?

Das ist richtig. Die Schweiz hat sich den Zielpfad 2050 gesetzt. Die Emissionen sinken aktuell schon, nur nicht schnell genug. Deshalb braucht es für Netto-Null 2037 in Basel-Stadt zusätzliche Massnahmen.

Wir haben von Politik und Wirtschaft geredet. Was ist mit der Bevölkerung? Muss sie das Basler Klimaziel unterstützen oder kann sie es scheitern lassen?

Die Erreichung von Netto-Null bis 2037 ist ja ein Auftrag der Bevölkerung. Wir haben alle darüber abgestimmt. Natürlich ist Klimaschutz eine Investition in die Zukunft. Das ist ein Aufwand. Aber wir können dadurch auch sehr viel gewinnen. Es wird bis 2037 viel weniger Verbrennungsprozesse im Kanton geben. Das bringt sauberere Luft und weniger Strassenlärm. Wir werden mehr Grün haben. Dazu geringere Energiekosten. Wir haben berechnet, dass der gesamte Kanton ab 2037 durch Effizienz und den Wechsel auf Strom jährlich rund 230 Millionen Franken Energiekosten sparen kann. Durch die Förderung von Photovoltaik wird es mehr lokale Wertschöpfung geben. Und Basel-Stadt kann attraktiver für Unternehmen werden, die CO2-frei produzieren wollen. Die aktuelle Bevölkerungsbefragung zeigt, dass sich etwa die Hälfte der Menschen in Basel-Stadt schon jetzt für Klimaschutz engagiert. Je nach Thema sind 20 bis 40 Prozent der Befragten bereit, noch mehr zu tun. Deshalb und weil wir aufzeigen können, welche Vorteile Netto-Null bringt, sind wir zuversichtlich, dass eine Mehrheit den Weg gehen will und auch geht.

 

Es gibt aber offenbar auch eine Gruppe, die sich nicht engagiert und es auch nicht tun will. Vertragen Ihre Strategien das?

Wir verstehen es als unsere Aufgabe, die Vorteile von Klimaschutz zu kommunizieren und möglichst viele Menschen mitzunehmen mit Massnahmen, die breit akzeptiert sind. Denn vom Klimaschutz profitieren alle.

 

Sieht man die Vorteile des Klimaschutzes, die Sie ansprechen, erst 2037?

Nein, das passiert fortlaufend. Die Stadt entwickelt sich, und die Vorteile zeigen sich Stück für Stück. Man muss auch sagen, dass Basel schon viel erreicht hat. Von 1995 bis 2020 haben wir schon rund 44 Prozent CO2-Reduktion geschafft. Das hat bereits zu einer besseren Luftqualität geführt. Denn dahinter stecken Verbrennungsprozesse, die Feinstaub und andere schädliche Stoffe verursachen. Diese nehmen laufend ab.

 

Allerdings wird für die Schweiz und Basel-Stadt weiteres Bevölkerungswachstum prognostiziert. Läuft das nicht dem Klimaschutz zuwider? Mehr Menschen konsumieren mehr, verursachen mehr Abfall und Verkehr.

Erstens macht es absolut Sinn, dass Städte und Ballungszentren wachsen und sich verdichten. Das entlastet das Umland und sorgt für mehr Effizienz. Denken Sie an die Fernwärme, das öV-Netz, die Stadt der kurzen Wege. Wir müssen weniger weit fahren, um zu dem zu kommen, was wir brauchen, was Ressourcen spart und das Klima schont. Zweitens sehe ich Bevölkerungswachstum nicht als Klimaproblem. Jeder hat das Recht, auf der Welt zu sein, deshalb müssen Bevölkerungswachstum und Klimaschutz Hand in Hand gehen können. Zentral ist, dass wir alle unser Leben klimaneutral gestalten.

Sie haben die Klima-Vorreiterrolle von Basel-Stadt erwähnt. Wie gross ist der Druck auf Ihren Schultern, dass Netto-Null bis 2037 klappt?

Man muss immer sagen, dass niemand allein Netto-Null erreicht. Es ist ein Gemeinschaftswerk von Bevölkerung, Wirtschaft und öffentlicher Hand. Der Kanton schafft die nötigen Rahmenbedingungen und bietet Hilfe. Zusammen bewältigen wir das.

 

Was passiert nach 2037? Ist mit Netto-Null die Arbeit getan?

Wenn wir 2037 das Netto-Null-Ziel erreicht haben, können wir netto-negativ werden. Das heisst, wir können noch mehr CO2 aus der Atmosphäre holen, als wir emittieren. Es ist ja vorgesehen und auch in Prüfung, dass die Basler Kehrichtverwertungsanlage eine sogenannte CCS-Anlage erhält. CCS steht für «Carbon capture and storage» und heisst, dass das CO2, das bei der Verbrennung entsteht, aus der Luft geholt und permanent gespeichert wird. Diesen Prozess kann man ausweiten, und so in den Bereich der Negativemissionen kommen. Andere Massnahmen, wie zum Beispiel bei der Mobilität werden weiterlaufen, da wir dort bis 2037 nicht bis auf null kommen werden. Bei den Gebäuden sollten bis 2037 zwar alle Heizungen ersetzt sein, aber die Reise geht bei der Effizienz weiter. Und dann haben wir noch die indirekten Emissionen. Uns wird also die Arbeit nicht ausgehen.

 

Sie müssen 2037 also nicht in Pension?

Nein, das wäre noch etwas früh für mich (lacht). Ich will mich auch über 2037 hinaus für das Klima engagieren.

 

Zur Person

Till Berger ist seit 2022 Leiter der Fachstelle Klima des Kantons Basel-Stadt. Der studierte Biologe hat in verschiedenen Beratungsbüros Nachhaltigkeitsprojekte durchgeführt und Partnerschaften zwischen öffentlicher Hand, Wirtschaft und Wissenschaft aufgebaut und betreut. Zudem hat er die Nachhaltigkeitsstrategie des Schweizer Bundesrats koordiniert und die Einführung der UNO-Agenda 2030 in der Schweiz begleitet.