Ein grosser Bergkristall wird Teil der Sammlung des Naturhistorischen Museums Basel. Dass er seinen Weg aus dem Herz der Alpen nach Basel gefunden hat, verdankt er einer Reihe von Zufällen. Und der Wasserkraft.
Haben Sie schon einmal einen Bergkristall genau betrachtet? Er funkelt, er glitzert. Seine scharf geschnittenen Flächen wirken wie ein Kaleidoskop. Manchmal ist er ein Labyrinth aus geometrischen Formen, ein mineralisches Spiegelkabinett, um sich darin zu verlieren.
Jedenfalls ist er ein Wunder der Natur. Die meisten seiner Art bleiben uns verborgen, da sie tief unter der Erde ruhen. Diejenigen, die wir sehen, hat der Zufall zu uns gebracht. So ist es auch mit dem Neuzugang im Naturhistorischen Museum Basel, einer Kristallstufe aus dem Grimselgebiet. Er ist eine Schenkung der Industriellen Werke Basel IWB und wäre ohne die Energiewelt nie hierhergekommen.
Das Geheimnis der Strahler
Der Weg dieser Kristallstufe beginnt bei einer Baustelle auf knapp 2000 Metern über dem Meer. Im östlichsten Zipfel der Berner Alpen liegt zwischen gletschergeschliffenen Felsen der Grimselsee. Seit 1932 hält hier die Staumauer Spitallamm das Wasser zurück. Doch diese Mauer ist am Ende ihrer Lebensdauer angekommen und wird durch eine zweite, vorgelagerte Mauer ersetzt.
Kräne ragen in den Berghimmel. Wie Zinnen wachsen die Mauerteile empor. Es war kurz nach Baubeginn, als die Bauleute auf eine Kristallkluft stiessen, darin das Stück, das nun in Basel steht. Heute findet den Ort niemand mehr. Er wurde verschlossen, damit weitergebaut werden konnte. Und er wird geheimgehalten, da man ihn später, wenn die Mauer fertiggestellt ist, wieder öffnen will.
Kristalle suchen, entdecken viele als Hobby wieder, gerade Junge.
Alexander Willener war einer der ersten, die den Kristallfund begutachteten. Er ist Instandhaltungsfachmann und Sicherheitsbeauftragter bei der Kraftwerke Oberhasli AG, die hier oben baut und alle Anlagen betreibt. Doch er ist auch einer der Mineralienbeauftragten, die immer dann geholt werden, wenn beim Bauen unter Tage etwas Glitzerndes oder Eckiges entdeckt wurde. Denn Alexander Willener ist Strahler. So nennen sich jene, die in den abgelegensten Winkeln der Alpen nach Kristallen suchen, mit Pickel und Fäustel, Schaufel und Lampe. «Heute entdecken viele das Hobby wieder, gerade Junge», meint er. Kristall-Influencer? Die gebe es tatsächlich, sagt er und lacht. «Aber vor allem gibt es immer mehr zu finden, da sich die Gletscher aufgrund des Klimawandels zurückziehen.»
Bergregale und Jauchzer auf der Baustelle
Was genau geschieht, wenn beim Bauen Kristalle gefunden werden, ist in der Schweiz von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt. Der Kanton Bern, wo der Grimselsee liegt, kennt das sogenannte Bergregal. Nach ihm gehören Mineralien unter Tage grundsätzlich dem Kanton, der jedoch nicht jeden Fund für sich beansprucht. Allerdings will er wissen, was da gefunden wurde. «Wir stehen im Austausch mit dem Naturhistorischen Museum Bern und dem Institut für Geologie der Universität Bern», erklärt Alexander Willener. Je nach Fundort schicken er und seine Kollegen eine umfangreiche Materialprobe, eine sogenannte Paragenese an die Experten aus der Wissenschaft. «Wir sind dabei immer unter Zeitdruck. Denn solange die Mineralien untersucht werden, herrscht Baustopp.» So regeln es die Werkverträge der Kraftwerke Oberhasli.
Am 1. Juli 2019 wurde an der Grimselstaumauer ein Baustopp verhängt. Man war beim Aufweiten eines alten Stollens auf einzelne Mineralien gestossen. Von einer Kristallkluft, also einem durchgehenden, mineralbesetzten Hohlraum allerdings noch keine Spur. «Das Material, das zum Vorschein kam, war mit einer sehr lehmigen Masse bedeckt», erinnert sich Alexander Willener. Mit seinen Kollegen reinigte er die lehmigen Klumpen noch vor Ort. Schnell wurde klar, dass hier grosse Quarzstufen und selten grosse Rosafluorite unter der Erdschicht lagerten. Um keine Zeit zu verlieren, nutzten die Bauleute die Maschinen vor Ort und holten immer grössere Lehmbrocken aus den engen Felsspalten. Willener erinnert sich: «Langsam kam die Schönheit der Kristalle zum Vorschein. Das sorgte für regelrechte Jauchzer.»
Langsam kam die Schönheit der Kristalle zum Vorschein. Das sorgte für regelrechte Jauchzer.
Die Schätze der Erdgeschichte
Die Kluft, aus der der Kristall im Naturhistorischen Museum Basel stammt, ist längst nicht die einzige, die in der Grimselregion entdeckt wurde. Die vermutlich spektakulärste liegt an der sogenannten Gerstenegg und wurde 1974 beim Bau eines Stollens entdeckt. Damals gelangte plötzlich kein Aushub mehr nach draussen. Als die Bauleitung, ein Unglück wähnend, im Berg nachforschte, fand sie die Mineure, die Kristalle einsammelten statt zu arbeiten. Man hatte einen Teil der Kluft bereits beim Sprengen zerstört. Doch durch grosses Glück war der weitere Verlauf der Kluft durch eine Felsplatte bedeckt. Als diese entfernt und der dahinter liegende Hohlraum gespült wurde, kam die ganze Pracht der Kluft zum Vorschein. Heute ist die Gerstenegg-Kluft ein Ausstellungsraum für Besucherinnen und Besucher der Kraftwerke Oberhasli. Die schützende Felsplatte, ebenfalls kristallübersäht, steht vor dem Grimsel Hospiz oberhalb der Grimselstaumauer.
Dass im Grimselgebiet Kristallklüfte gefunden werden, hat mit der Geologie der Region zu tun. Hier, im Herz der Alpen, liegt das sogenannte Aarmassiv. Ein Grundgebirge, das aus vielen gestauchten Gesteinsschichten besteht, darunter der im Alpinismus so beliebte Granit. Er entstand vor etwa 300 Millionen Jahren. Vor 40 Millionen Jahren setzte die Alpenfaltung ein, bei der Urkräfte die harten Gesteinsschichten bewegten. Manches Gestein verformte sich dabei, anderes brach in sogenannten Zerrklüften auf. Tief unter der Erde wurden dabei Hohlräume geschaffen, die sich mit heisser Flüssigkeit füllten, sodass eine kristalline Lauge entstand. Vor 18 Millionen Jahren begannen die Zerrklüfte sich anzuheben. Dabei nahmen Temperatur und Druck ab, und aus der Lauge wuchsen Kristalle heran. Manche gelangen durch die Erosion bis an die Erdoberfläche. Unbeschädigte Klüfte findet man nur im Berginnern – und mit Glück.
Die hohen Hallen der Wasserkraft
Dass es so viele Gelegenheiten gibt, bei denen Kristalle gefunden und später im Museum ausgestellt werden, verdanken wir dem menschlichen Pioniergeist. 1925 wurden im Oberhaslital die ersten Kraftwerksbauten erstellt, darunter die Staumauer Spitallamm, damals die höchste Talsperre Europas. Man hatte erkannt, dass das Gebiet für die Stromproduktion mit Wasserkraft prädestiniert war. Hier gibt es übers Jahr ausgiebig Niederschlag in einem grossen Einzugsgebiet, viel Gefälle – die Aare legt bis Innerkirchen drei Viertel aller Höhenmeter zurück – und den stabilen Aaregranit als Untergrund. Damals war der Strombedarf noch kleiner als heute, und so lieferten vier Turbinen Elektrizität aus dem Wasser der jungen Aare. Doch der technische Fortschritt verlangte nach mehr Strom, und über die Jahre entstand ein immer grösseres System aus Speicherseen, Turbinenräumen und Wasserschlössern, das auch Nachbartäler umfasst. Der grösste Teil davon liegt unterirdisch und wird durch insgesamt 160 Kilometer Stollen verbunden. Und in ihnen kreuzt die Welt der Energie das Reich der Kristalle.
Die Geschichte der Wasserkraft aus der Grimsel ist mit dem Energiebedarf der Städte verbunden. Gegründet wurden die Kraftwerke Oberhasli von der BKW Energie. Wenig später kamen IWB, Energie Wasser Bern und das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich hinzu. Die Eigentumsverhältnisse sind seither unverändert: Die Gründerin hält die Hälfte der Aktien, die drei weiteren Partner je ein Sechstel, was ihnen klimafreundlichen Strom aus Wasserkraft garantiert. Diese Arithmetik wurde auch beim Kristallfund bei der Baustelle an der Grimselstaumauer berücksichtigt.
Die Kraftwerke Oberhasli schenkten drei kleinere Kristallstufen ihren Aktionären aus Basel, Bern und Zürich; eine etwas grössere ging an die BKW Energie. Ihr eigenes Geschenk wollte IWB einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen und überliess es deshalb dem Naturhistorischen Museum Basel in einem Schenkungsvertrag. So kommen Erd- und Energiegeschichte zusammen.
Die Kristallstufe ist nicht nur für mineralisch Interessierte wertvoll, sondern auch für Laien, da sie rein ästhetisch einen grossen Reiz hat.
Eine Abkürzung ins Herz der Alpen
Im Naturhistorischen Museum Basel wird die Kristallstufe aus der Grimsel Teil der Dauerausstellung «Schauplatz Natur». Dort stellt das Museum unter anderem einen Teil der eigenen mineralogischen Sammlung aus. «Über diese Schenkung freuen wir uns sehr», sagt Dr. André Puschnig, Kurator für Geowissenschaften am Museum. Ein solches Stück bekäme man nicht so oft. «Die Kristallstufe ist nicht nur für mineralisch Interessierte wertvoll, sondern auch für Laien, da sie rein ästhetisch einen grossen Reiz hat.»
Die Mineralienausstellung im Naturhistorischen Museum ist eine kleine «Tour de Suisse». Sie präsentiert Kristalle und andere Mineralien aus den Alpen und dem Jura und zeigt, woher diese kommen. Das Geschenk vom Grimselstausee füge sich gut ein, erklärt Puschnig: «Wir zeigen bereits einen Kristallhohlraum aus dem benachbarten Furkagebiet. Mit dem neuen Exponat wird die Ausstellung noch kohärenter.» Ausserdem sollten solche Stücke einem breiten Publikum gezeigt werden. «Nicht alle schaffen den Weg an eine Führung zur Kristallkluft Gerstenegg.» Auch wenn, könnte man sagen, ein Stück von der Grimsel uns alle erreicht: Strom aus Wasserkraft aus dem Herzen der Alpen.
Der Kristall vom Grimselstausee
Gewicht ca 50 kg
Mineralart: Quarz
Fundort: Staumauer Spitallamm, Grimsel, Berner Oberland
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